„Hits Vol. 1“ ist die erste karriereübergreifende Compilation der Aeronauten. 24 Hits aus den Jahren 1993 — 2020, destilliert aus 10 regulären Alben und einer Maxi und wenn wir “Hits“ aufs Cover schreiben, sind auch Hits drauf: ‘Schuldigung‘, ‘Schnee‘, ‘Freundin‘, ‘Patates‘, ‘1 bis 10‘, ‘Countrymusik‘, ‘Ich wollt ich wär tot, Bettina‘ uvm.
24 Hits von den inzwischen nahezu vergriffenen ersten Alben bis hin zum letzten Album von 2020. Unfassbar, wie gut diese Band war. Die Aeronauten waren soulig, garagig, poppig, nonchalant und schlau. Sie hatten Trompeten und Posaunen und mit Olifr Guz Maurmann einen der besten Texter und Sänger aller Zeiten. “Hits! Vol. 1“ wird für Einsteiger*innen eine Erleuchtung und für Kenner*innen eine Bestätigung sein. Was für eine grandiose Band!
Klingt abgedroschen, fast gelogen, ist aber so: Die Aeronauten haben keine schlechte Platte veröffentlicht, sie haben sogar nur exzellente Platten gemacht, und sie haben Songs für die Ewigkeit aufgenommen und das im dreistelligen Bereich. Da kann man sich vorstellen, dass eine “Best Of Aeronauten“-Compilation nicht über Nacht zusammengestellt wird, da brüteten Experten*innen Monate drüber. Hier nun das Ergebnis: “Hits! Vol. 1!“
Mitte der 90er tauchte in Hamburg eine kleine CD auf und jeder wollte sie haben: ‘Ich wollt ich wäre tot, Bettina‘ von den Aeronauten – erschienen auf dem kleinen Label Tom Produkt. „Wie heißen die? Woher kommen die? Aus Schaffhausen?“ Die CD war im Plattenladen schwer zu bekommen und so wanderte sie von Hand zu Hand, von Tapedeck zu Tapedeck und ein magisches Tor tat sich auf: Das Tor zur Welt der Aeronauten; und wenig später materialisierten sich die Aeronauten und traten im Pudel auf. Die Aeronauten klangen so wie fast jeder und jede, die damals in Hamburg Musik machten, zumindest ins- geheim klingen wollten, behaupte ich einfach mal. Große Songs, die dabei so leicht wirken, wie aus dem Ärmel geschüttelt, so dermaßen auf den Punkt. Texte und Musik, die auch unabhängig voneinander funktionieren könnten, aber zusammen nicht von dieser Welt sind. Wenn man mag, kann man die Bezüge und Zitate der Aeronauten herausfiltern: von Northern und Southern Soul über Disco, Pubrock, Dick Dale und Wild Billy Childish zu Enrico Morricone – muss man aber nicht, die Aeronauten hatten ihren eigenen Style. Die Vorbilder waren in ihrer DNA und würde es diese nicht geben, ich bin ich mir sicher, die Band würde trotzdem so klingen. Ich fand immer, dass der Sound der Aeronauten die Ligne Claire übersetzt in Musik ist …schwafel, rafafel. Guz hätte bei solchen Sätzen vermutlich spöttisch die Braue hochgezogen und so was gesagt wie „Ach, findest Du, ja?“ Besser beschreibt Rocko Schamoni im Booklet zu “Hits! Vol. 1“ die Aeronauten und ihr Werk: „‘Früh / Spät‘, ‘Schuldigung‘, ‘Patates‘, ‘Schnee‘, ‘1 bis 10‘, ‘Finger‘ und diverse andere sind für mich Songs von Weltniveau, ich höre sie mit genau so viel Freude und Ehrfurcht wie z.B. die Songs von Caetano Veloso und Adriano Celentano.“ Guz selbst hat es mal in einem Interview sinngemäß so ausgedrückt: „Schublade auf: Wir machen Popmusik. So einfach ist das.“ So einfach ist es leider nicht, sonst würde es ja jeder machen.
Lange drauf gewartet und nun seit gestern endlich als echte gute alte analoge Anfassversion im Haus: The Smith Street Band – Don’t Waste Your Anger. Ich hatte das Album vorab wegen dem Corona-Tamtam und den damit verbundenen Produktionsschwierigkeiten schon digital gekauft.
Nun also das mittlerweile fünfte Album der Australier. Die Besetzung hat in Teilen gewechselt, Jess Locke, Lucy Wilson und Matt Bodiam sind neu dabei. Mit Neubesetzungen ist das ja immer so eine Sache, vor allem, wenn gleich drei neue Leute am Start sind. Diesbezüglich kann ich Entwarnung geben, die Neuzugänge sind eine echte Bereicherung. Dazu gleich mehr.
Die ersten Durchläufe hinterließen bei mir einen guten, aber (noch) keinen großartigen Eindruck. Das hat sich nach dem fünften Durchlauf geändert und ist oft so bei mir: Die wahrhaft großartigen Platten brauchen ein Weilchen bis sie zünden. Das liegt entweder an mir oder ist ein Zeichen für sehr gutes Songwriting.
Don’t Waste Your Anger weiß von der ersten bis zur letzten Minute zu begeistern und krankt dabei nicht an einer beschissenen Produktion wie der Vorgänger More Scared Of You Than You Are Of Me, der von Jeff Rosenstock völlig verhunzt gemixt und zudem auch noch miserabel gepresst wurde.
Los geht’s mit dem pathetischen God Is Dead, das sich bandtypisch in ein dramatisch-wildes emotionales Tohuwabohu steigert und schlussendlich wie ein ausuferndes Flussdelta in den Ozean mündet. Gänsehaut garantiert. Es war viel los im Hause Wagner, das merkt man dem Text an. Wer Social Media nutzt, wird die Geschichten um Georgia McDonald und Wil Wagner ja verfolgt haben. Ich werde an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen.
An dritter Stelle wartet schon der Überhit I Still Dream About You, eine emopunkige Rockgaragennummer, wie sie nur die Jungs um Wil Wagner schreiben können. Großartiger Song.
Auch sonst ist das Album an Hits wahrlich nicht arm. The End Of The World, Profiteering und Heaven Eleven seien hier stellvertretend genannt.
An vielen Stellen singen die beiden Damen im Background mit, was den Songs sehr gut tut und für das Album eine echte Bereicherung darstellt.
Am Ende gibt’s dann nochmal das Pathos vom Anfang: Don’t Waste Your Anger ist ein ähnlich dramatisch-pathetisches Werk wie God Is Dead; erreicht dabei aber nicht ganz dessen Tiefe. Das allerdings ist Meckern auf ganz hohem Niveau, denn mit Don’t Waste Your Anger haben The Smith Street Band wieder ein großartiges Meisterwerk abgeliefert. Für mich auf ähnlichem Niveau wie Throw Me In The River aus 2014 und einen Deut besser als das Vorgängerwerk More Scared Of You Than You Are Of Me aus dem Jahr 2017.
Die Pressqualität ist solide, ich konnte von einer leichten Wölbung abgesehen nichts negatives feststellen. Die Platte gibt es in diversen Farben, z. B. grünes Vinyl bei Kings Road Merch.
Das die seligen Floorettes nicht mehr existieren, hab ich erst durch das Promoschreiben von Alex‘ Waterfall Records erfahren. Schade, schade, denn ihr „Pocket Full Of Soul“ aus dem Jahr 2011 drehte so einige Runden auf meinem Plattenteller. Der Verlust ist aber verschmerzbar, sind fünf Bandmitglieder doch jetzt verstärkt durch zwei zusätzliche Sängerinnen unter dem Namen The Everettes unterwegs. Außerdem sind die Songs im Vergleich zu denen der Florettes erwachsener und runder geworden.
Ihr gleichnamiges Debütalbum ist am 29. Mai erschienen. The Everettes wissen durch eine mitreißende Mischung aus (Northern) Soul, Stax und Pop zu begeistern. Das hervorragend und stimmig instrumentierte The Everettes überzeugt mit Harmoniegesängen und frischy freshy Bläsersätzen, die durchaus an die Daptones, die Begleitband von Sharon Jones (und Studioband von Amy Winehouse) erinnern.
Außerdem bemerkenswert: Die Vinyl-Pressing klingt hervorragend und ist exzellent verarbeitet. Ein Fakt, der in Zeiten wie diesen nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann.
Klare Kaufempfehlung für alle, die mit 60s-Pop, dem Motown-Sound oder (Neo-)Soul etwas anfangen können. Feine Platte!
Hin und wieder bekomme ich E‑Mails mit Reviewanfragen, denen ich allerdings äußerst selten nachkomme. Oft kann ich mit der Musik nichts anfangen oder das Genre interessiert mich schlichtweg nicht.
Im jüngsten Fall ist Alex von Waterfall Records an mich herangetreten, und in diesem Falle verliere ich gerne ein paar Worte, hat der gute Alex doch nicht wie üblich digitales Promogedöns versendet, sondern mir eine echte LP zukommen lassen. Noch dazu eine, die mir sehr gut gefällt.
Die Niederländerin Iris Romen tritt seit fast 10 Jahren regelmäßig sowohl solo als auch mit Bands auf und spielt zu ihrem Leadgesang noch Kontrabass, Fender Rhodes und eine Framus-Gitarre aus den 50er Jahren. Sie war außerdem 10 Jahre lang Kontrabassistin der All-Girl-Country-Band The Runaway Brides, sang mit Ihrer „Ballhaus“-Band vielmals zum Schwoof in Lokalen wie Clärchens Ballhaus, ist Sängerin und Kontrabassistin in ihrem eigenen Bertolt-Brecht-Projekt (Brecht Festival Augsburg, Kurt Weil Fest Dessau), war 13 Jahre lang Sängerin in vielen Konzerthäusern mit Andrej Hermlin’s SwingDance Band, mehrmals Gastsängerin der Big Band der Deutschen Oper und spielte zahlreiche Solo- und Bandauftritte im In- und Ausland.
Eine eindrucksvolle Vita also, die sie jetzt mit ihrem zweiten Album krönt.
Late Bloomer ist ein entspanntes Stück Musik, das sehr gut als – das ist nicht abschätzig gemeint – Nebenbeiberieselung, als auch als hörenswertes Stück Musik in Albumform funktioniert.
Die Selbst-Klassifizierung in der Country-Sparte hat mich etwas irritiert, ich würde Iris Romen eher in die Ecke Singer/Songwriter-Vintage Pop schieben. Sparsam instrumentiert, weiterführend angesiedelt irgendwo zwischen Blues, Jazz und meinetwegen etwas Country, gelingt der Sängerin die hohe Kunst, bei sehr zurückhaltender Instrumentierung dennoch ein interessantes Musikerlebnis zu schaffen.
Der einzige deutschsprachige Titel Filmriss sticht aus dem Album heraus. Ich hätte nichts gegen weitere Titel auf Deutsch gehabt.
Mit Late Bloomer gelingt es der Künstlerin, einen perfekten Soundtrack für einen Sonntagmorgen zu schaffen. Popmusik für Erwachsene gewissermaßen; oder Popmusik für Menschen, die Popmusik nicht für ein Schimpfwort halten.
Selbst wenn man den Künstler von seiner Kunst trennt, bleibt vom neuen Morrissey-Album „I Am Not A Dog On A Chain“ kein positives Fazit übrig. Eine merkwürdig unausgegorene Mischung aus Songs ist entstanden; mit Texten, die weit weit weit von Morrisseys Topform gelegen sind. Das ganze ist recht überkandidelt produziert, klingt wie schon Low In High School (dessen B‑Seite ich übrigens für die schlechteste B‑Seite eines Albums seit 1928 halte!) sehr synthethisch und pathetisch. Weit weg vom Glanz der alten Tage. Leider!
Der Markt an guter, deutschsprachiger Indiemusik ist für mich persönlich wie leergefegt. Ab und an trifft man dann doch nochmal auf richtig gute — außergewöhnlich gute — und mitreißende Musik. Jüngstes Beispiel sind neben Rong Kong Koma (Rezension zum Debütalbum folgt nach Erscheinen) die beiden Herren um die Mike Ständer Band aus Zürich. Ich habe die Rezension zum Album Laut und deutlich im letzten Ox entdeckt, reingehört und war gleich sehr angetan.
„Mike Ständer Band ist die natürliche Reaktion auf die musikalische Weichspülung und textlich/inhaltliche Vervolldummung der zeitgenössischen, kommerziellen, akustischen Luftverschmutzung. Mit Ihrer Rudimentärbesetzung (Schlagzeug, Bass, Trompete, Gesang) verleiht das Punk-Duo „MSB“ ihren poetisch-kritisch-komischen Texten den nötigen Druck um beim Hörer nicht nur das Herz sondern im Besonderen das Hirn anzuzünden. Man kann sie mit Blumen oder mit Flaschen bewerfen, aber man sollte sie vor allen Dingen kennen.“ heißt es in den Weiten des Internets, und das trifft es sehr sehr gut.
Schon seit längerem verfolge ich das Schaffen der kanadischen Band Fucked Up mit großem Interesse. Eingestiegen und aufmerksam geworden bin ich spät – nämlich erst mit dem Video zum fulminanten „Queen Of Hearts“ vom Album „David Comes To Life“.
Das Album habe ich danach kennen und lieben gelernt und dieser Tage stand nun jüngst die Veröffentlichung von „Dose Your Dreams“ an; dem mittlerweile ungefähr neunten Studioalbum der Band.
Die Vorab-Single „Normal People“ fand ich schon äußerst vielversprechend, vielleicht gerade deshalb, weil sie mit dem gewöhnliche Schema und Image der Band als Vertreter des Hardcore nicht mehr viel zu tun hatte.
Fucked Up sind inzwischen Genre-sprengende Meister der Abwechslung, davon zeugt „Dose Your Dreams“ zu genüge. Es gibt Shoegaze, Funk, Disco, Psych- und Avantgarde-Rock und sogar ein bißchen harten technoiden Beat à la The Prodigy.
Das Album ist kein Meilenstein, aber in seinem Abwechslungsreichtum höchst unterhaltsam und mehr als gelungen. Mein Problem mit den älteren Alben war immer, das ich Damians Geschrei ungefähr 20 Minuten lang geil fand, dann aber genervt war und eine Pause brauchte. Das ist bei diesem Album nicht der Fall. Kaufempfehlung!
Propagandhi spielen seit Jahren im Punk/Hardcore dank dem unfassbaren Songwriting in einer eigenen Liga. Da wartet man auch gerne 5 Jahre auf ein Album. „Victory Lap“ ist eine fantastische Platte geworden. Todd Kowalski der ja schon auf den letzten Alben einige Songs als Leadsänger beisteuerte, verarbeitete die Trauer um seinen Vater in „When All Your Fears Collide” und dem überragenden „Nigredo“ — letzterer definitv eines der Höhepunkte des Albums. Die Songs des neuen Albums sind fast durchgängig schnell und rockig allerdings wird das Gaspedal etwas weniger druchgetreten als noch auf „Failed States“. Man setzt wieder auf etwas eingängigere Melodien. Das sehr trashig beginnende „Lower Order (A Good Laugh)“ oder „Cop Just Of Frame“ sind ein gutes Beispiel dafür.
Die Songs sind teilweise recht komplex, was das Album auch für die nächsten Wochen und Monate spannend machen wird — man wird immer wieder neue Dinge darauf entdecken. Wertung: 9/10 Bördekartoffeln!
Der November brachte ein Monster hervor und sein Name ist „Low In High School“. 5 gute Songs und 7 viel weniger gute – darauf läßt sich das neue Morrissey-Album wunderbar herunterbrechen. Ich wußte nach den ersten Durchläufen nicht mehr, ob ich lieber in Tränen ausbrechen oder kopfschüttelnd die Dorfstraße herunterlaufen sollte. Dazu das jetzt schon „legendäre“ Interview im SPIEGEL von letzter Woche; es fällt in Zeiten wie diesen nicht leicht, nicht am Meister zu zweifeln. Aber seine ganzen kruden Aussagen zum Weltgeschehen mal außen vor gelassen – wir widmen uns den Songs in der Einzelkritik, verlieren einige Worte zum Album allgemein und schließen mit den technischen Details. Los geht’s:
My Love, I’d Do Anything for You
Ein breitbeinig rockender, maßlos aufgepimpter Krawallbrocken zum Auftakt. Da wollte jemand viel, für meinen Geschmack ein bißchen zuviel. Erinnert an die Eröffnung auf „Years Of Refusal“, die mit „Something Is Squeezing My Skull“ ähnlich rabiat ausfiel. Die ersten Zeilen des Albums lauten also „Teach your kids to recognize and despise all the propaganda, filtered down by the dead echelons mainstream media“. Ich bin ja ein großer Freund des Alleshinterfragens, aber das hier klingt mir dann doch eine Spur zu sehr nach „Lügenpresse“. Da war der Meister früher weniger eindeutig und ließ immer Raum für Interpretationen. Hier klingt’s textlich genauso krawallig wie es das musikalisch tut. 6/10
I Wish You Lonely
Schon besser, es klingt wieder nach Morrissey. Viel mehr fällt mir dazu allerdings auch nicht ein. 7/10
Jacky’s Only Happy When She’s Up on the Stage
Noch besser. Morrissey streitet ja hartnäckig ab, das es sich bei diesem Song um eine Analogie auf den Brexit handelt. Was hanebüchen ist, denn der Zusammenhang ist offensichtlich; es passt einfach alles. Eine schöne Nummer, weniger brachial als die ersten beiden, einer der Höhepunkte des Albums. 8/10
Home Is a Question Mark
… gleich gefolgt vom absoluten Höhepunkt des Albums. Ein wunderschöner Song. Allerdings klingen die Streicher ein wenig synthetisch. Es gibt übrigens einen übriggebliebenen Titel aus den Quarry-Sessions von 2004 und der heißt … taaadaaaaa! … „Home Is A Question Mark“. Die Songwriter-Credits zu dieser Version verweisen allerdings auf das aktuelle Bandmitglied Mando Lopez statt auf Alain Whyte, der für einen Großteil der Quarry-Songs die Co-Writer-Credits hält. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt… bei der Klasse der Nummer würde es mich nicht wundern, wenn sie tatsächlich ein Überbleibsel aus Quarry-Zeiten ist. Nur Alain Whyte wird’s genau wissen… 9/10
Spent the Day in Bed
Die Vorab-Single, die mich schon zweifelnd zurückließ. Hier zeigen sich erstmalig die Tingeltangeltedenzen, auf die wir im weiteren Verlauf des Albums noch öfter stoßen werden. Früher hätte sich der Text zum Song wie eine schöne Verweigerungshymne gelesen; in Zeiten wie diesen klabaustert er schon an der Grenze zur eingangs erwähnten Lügenpresse dahin. Musikalisch ganz nett, ganz entspannt, tut nicht weiter weh, ist allerdings auch nicht schlecht. Wobei mich die „No Bus, No Boss, No Rain, No Train“-Zeilen in ihrer infantilen Billigreimigkeit fürchterlich an „Ill In Sevill … Gaga In Malaga“ aus dem Bullfighter auf „World Peace Is None Of Your Business“ erinnern. 7/10
I Bury the Living
Die guten Momente des Albums sind hier bereits vorbei. Ab jetzt wird’s wirr. In diesem Song versucht sich Morrissey an einer Nick Cave-schen Variante zum Thema Militarismus, Krieg, Soldatenleben. Bis 5:17 min funktioniert das einigermaßen, dann kommt der grauenhafte „It’s funny how the War goes on without our John!“-Teil, den ich einfach nur schrecklich finde. 5/10
In Your Lap
Eine uninspierte Ballade zum Arabischen Frühling, vorgetragen am alten Klimperklavier von Johannes Heesters. 2/10
The Girl from Tel-Aviv Who Wouldn’t Kneel
Ich hatte nach den ersten live dargebotenen neuen Songs den Eindruck, das Album würde in Richtung ChaChaCha-Arab-Pop-Flamenco-Weltmusik gehen. Dieser Titel bestätigt meine Einschätzung. Erneut furchtbares Geklimper auf dem Klavier. 4/10
All the Young People Must Fall in Love
Jetzt sind wir wieder bei den vorhin erwähnten Tingeltangeltendenzen. Ein rundum misslungener Song, mit viel Tamtam, Handclaps und einem schrecklichen Refrain. Weil mir der Teil bis zum ersten Chorus gefällt, vergebe ich 2/10 Punkte.
When You Open Your Legs
… und weiter geht’s mit „Songwriting nach Zahlen“, so kommt mir die Veranstaltung hier nämlich langsam vor. Dieser Song klingt wie die Kopie der Kopie von einem mittelmäßigen Morrissey-Song – „Songwriting nach Zahlen“ eben. Das ist mir erstmalig bei „Ringleader Of The Tormentors“ aufgefallen, auch dort waren viele Songs nur schlechte Kopien von alten Morrissey-Songs. Komplett überflüssige Nummer. 1/10
Who Will Protect Us from the Police?
Es geht wieder ein wenig aufwärts. Bei den ersten Durchläufen hat mir dieser Song überhaupt nix gegeben, inzwischen ist er einigermaßen hörbar. Dennoch will mir partout nicht viel dazu einfallen. 5/10
Israel
Eine rundum mißlungene Schmonzette. Ich habe keine Meinung zum Konflikt zwischen Israel und Palästina; nur für den Fall, das mir jemand unterstellen möchte, dass ich den Song deshalb nicht mag. 1/10
Das macht insgesamt nach Adam, dem Riesen, 57 Punkte; was wiederum in der Gesamtwertung 4.75/10 Punkten macht. Ein mittelmäßiges Album. 6 oder 7 Songs als EP hätten für mich gereicht, der Rest ist überflüssiges und enttäuschendes Füll- und Blendwerk.
Zu den eingangs erwähnten technischen Details noch ein paar Anmerkungen: Ich habe mir die LP zweimal gekauft. Einmal die „limitierte“ LP in grün und die reguläre Pressung in transparentem Vinyl. Die Laufzeit beträgt ca. 27 Minuten je Seite, was viel zu lang ist. Bekanntlich nimmt die Soundqualität von Vinyl ab einer Laufzeit von ca. 20 Minuten je Seite (12″, 33 1/3 RPM) dramatisch ab. So auch bei diesen Pressungen, die voller Clicks und Pops sind, und außerdem extrem leise. Auch das ist der Physik und dem aufgrund der übermäßigen Laufzeit geringen Rillenabstand geschuldet. „Low In High School“ hätte als Doppel-LP erscheinen müssen. Vergleicht man die LPs mit der CD-Pressung, fällt ein deutlich druckvoller und basslastiger Sound auf letzterer auf. Die Aufmachung ist ordentlich: Solides Gatefold (über das Covermotiv lässt sich trefflich streiten), bedruckte Innenhüllen, insgesamt ein schönes Layout; auch wenn die Typo sehr nach Hamburg-Mannheimer Reloaded aussieht. Das Album ist außerdem in vier weiteren Farben sowie als 7″-Box erschienen. Die habe ich mir allerdings gespart… gut so, denn letztendlich zählt die Musik und nicht das Medium.
Wie es mit Morrissey weitergeht, steht in den Sternen. Ich wünsche mir irgendwann nochmal ein richtig gutes Album, mit richtig gutem Songwriting der alten Mozza-Schule. Ob es jemals soweit kommen wird, ist im Moment mehr als fraglich. Außerdem wünsche ich mir, das sich unsere alte Manchester-Gurke mit Kommentaren zum Weltgeschehen ein wenig zurückhält und einfach das macht, was er am besten kann bzw. konnte: Tolle Songs mit tollen Texten schreiben und jene mit seinem einzigarten Schmelz in der Stimme vortragen. Ich geh‘ jetzt Viva Hate,You Are The Quarry oder sogar Bona Drag hören und erinnere mich an tollere Zeiten… 😉
Meine erste Begegnung mit KALTFRONT war das Logo der Band auf einem Arbeitsschuh. Liest sich komisch, ist aber wahr. 1988 hatte ein Mit-Berufsschüler der Berufsschule „Rudi Arndt“ in Berlin das Kaltfront-Logo auf einen seiner Schuhe gesprayt. Sah toll aus.
Kaltfront wurden 1986 in Dresden gegründet und erspielten sich in der DDR-Punkszene einen großen Bekanntheitsgrad. Nach einer Auszeit in den Nachwendejahren kam es 2005 zur Reunion. Gerade ist wieder ein neues Album erschienen, es trägt den Titel „Wenn es dunkel wird“. Kaltfront liefern auch hier wieder ihren gewohnt tollen Wavepunk ab – atmosphärisch, dunkel und gut produziert. Der einzige Punkt, der mich ein bißchen stört, sind die vielen Neueinspielungen altbekannter Hits. Aber vielleicht bringt die Zukunft der Band mit verjüngter Besetzung ja wieder mehr neue Songs zutage… Dennoch: Rundum eine empfehlenswerte Platte. Eine schöne Rezension – der ich mich vollinhaltlich anschließen kann – gibt es auf bierschinken.net. Vielen Dank an Stephan von Rundling für die (genutzte) Chance auf eine Testpressung!
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