DDR

Nur kurz Kippen holen

Ein Wun­der, ein Wun­der! Der Architekt Marc Aretz hat bei der Vor­bere­itung von Sanierungsar­beit­en im Leipziger Stadt­teil Reud­nitz eine vor 20 Jahren ver­lassene Woh­nung aus DDR-Zeit­en entdeckt.

Als er die Tür im drit­ten Stock auf­schloss, stand er mit­ten im All­t­ag der DDR: Alubesteck und Plas­tikgeschirr, „Vita“-Cola in der Orig­i­nalflasche, „Marel­la-Delikateß­mar­garine“, dazu halb zer­fressene Brötchen im Dederon-Netz. Der Wand­kalen­der zeigte den August 1988. Knapp 40 Quadrat­meter unberührte DDR, eine kleine Sen­sa­tion. Beim Betra­cht­en der Woh­nung fühlte sich Aretz ein wenig wie ein Archäologe, der die Ter­rakot­ta-Armee aus­gräbt: „Man sieht diese banalen All­t­ags­dinge heute ja schon wie einen archäol­o­gis­chen Fund, wie in ein­er his­torischen Schatzkam­mer“, sagt der 44-Jährige. (Quelle)

Die zwanzig Jahre alte Woh­nung erlaubt nun einen authen­tis­chen Blick in das Leben in der DDR, die Marken­pro­duk­te wür­den jedem Ostal­gieshop zur Ehre gere­ichen: „Karo“- und „Juwel“-Zigaretten, „Rügen­er fis­chhaltige Paste“, „Elkadent“-Zahncreme, „Strumpf­füßlinge“ von Esda. Auch eine leere Flasche „Kristall Wod­ka“, im Volksmund „Blauer Würg­er“ genan­nt, wurde gefun­den. Ein Bad gab es nicht, stattdessen ein Klo die halbe Treppe tiefer.

Der Bewohn­er brach offen­sichtlich über­stürzt auf oder wollte „nur kurz Kip­pen holen“. Diverse gefun­dene Briefe und die unaufgeräumte Bude sind Beleg dafür. Schuld kön­nte aber auch sein vielle­icht man­gel­nder Ord­nungssinn sein; an dieser Stelle müssen wir mutmaßen.

Man kön­nte geneigt sein, die ganze Sache für einen Schwindel zu hal­ten aber der Ent­deck­er beteuert hart­näck­ig die Authen­z­ität seines Fun­des. Vielle­icht ist die ganze Sache auch als PR-Gag vom MDR insze­niert, der just dieser Tage sein neues Zeit­geschichte-Por­tal „Damals im Osten“ startet. Auf dem gibt’s zwar noch nicht allzu viel zu sehen, aber wir behal­ten euch im Auge, Genossen!

Schade, daß es nicht viele Fotos der Bruch­bude zu sehen gibt, ein paar sind in den Links versammelt.

welt.de — Ver­lassene DDR-Woh­nung in Leipzig entdeckt
t‑online.de — Architekt ent­deckt ver­lassene Wohnung
sueddeutsche.de — Architekt ent­deckt DDR-Wohnung

Fetzt urst ein: Der Poly-Play-Automat

Der Poly-Play-Automat aus dem Kom­bi­nat Poly­tech­nik und Präzi­sion­s­gerätew­erke Karl-Marx-Stadt war der einzige in der DDR hergestellte Videospieleautomat.

Zwölf junge Auto­maten­bauer im VEB Poly­tech­nik, dem Stamm­be­trieb des Kom­bi­nates, fer­tigten diesen Spiel­com­put­er. Das Auto­matenge­häuse ent­stand im VEB Raumkun­st in Mosel. 44 Auto­mat­en je Monat soll­ten im IV. Quar­tal 1986 zur Dauer­leis­tung wer­den. Am Anfang waren es ger­ade mal 10 Stück im Monat.

Entwick­elt wurde der Automat 1985 inner­halb eines hal­ben Jahres. Nach dem „Poly­com­put­er 880“ war der Poly-Play ein weit­eres mikroelek­tro­n­is­ches Pro­dukt aus diesem Kom­bi­nat. Immer­hin 8 Spiele vere­inte der Automat unter seinem Preßs­pange­häuse, und da er so mul­ti­tal­en­tiert war, bekam er diesen Namen: Poly-Play.

„Poly“ stammt aus dem Latein und bedeutet „viel“. Das paßte gut, denn das Wort „Poly“ war auch son­st ein in der DDR gern ver­wen­detes Wort. Schließlich gin­gen alle Schüler in eine Polytech­nis­che Ober­schule, hat­ten Polytech­nis­chen Unter­richt und der berühmte Polylux zauberte die Folien­bilder an die Wand. Der Poly-Play-Automat war nicht für die eige­nen vier Wände gedacht.

Vor allem in Ferien­heimen, Klub­häusern, Jugend­her­ber­gen, Jugend­klubs oder Gast­stät­ten war er zu find­en. Ein Spiel am Poly-Play-Auto­mat­en kostete 50 Pfen­nig. Die Genehmi­gung zum Auf­stellen und Betreiben erteilte der VEB Staat­szirkus der DDR. Ein Poly-Play-Automat kostete ca. 22000 Mark. (Quelle)

Wenn ich mich recht erin­nere, stand im Berlin­er Plän­ter­wald so ein Teil rum. Außer­dem noch eins, mit dem Balken-Ten­nis („Pong“) gespielt wer­den kon­nte. Wer die Erin­nerung an nos­tal­gis­che Com­put­er­spiele auf­frischen möchte, sollte die Web­site des Poly­play besuchen, dort kön­nen alle 8 Spiele online gespielt wer­den. Was ziem­lichen Spaß macht!

Danke an Her­rn Metawirt für den fre­undlichen Hinweis!

Weit­er­führende Links:
Wikipedia
Tele­po­lis — Com­put­er- und Videospiele in der DDR
bbc.co.uk — Fan­cy A Game, Comrade?

Hamburg vs. Zerbst oder „Wer sich ins Privatfernsehen begibt, kommt darin um.“

Die Magde­burg­er Volksstimme macht heute mit der schö­nen Schlagzeile

Sachbeschädi­gun­gen am Haus und Belei­di­gun­gen gegen Familie,
die im RTL-II- “ Frauen­tausch “ auftrat

„Land-Ei“ trifft „Stadt-Tus­si“: Zerb­ster demon­stri­eren nach TV-Sendung

auf.

Es geht darum, daß die Stadt Zerb­st im Rah­men der Sendung in einem schlecht­en Licht dargestellt wird. Während man von der Zerb­ster Fam­i­lie und ihrer Stadt nur die dun­klen, ungepflegten und gruseli­gen Eck­en zeigt, son­nt man sich in Ham­burg an der Auße­nal­ster und genießt den nord­west­deutschen Luxus.

Daraufhin haben sich 50 Zerb­ster zur Spon­tan-Demo vor dem Haus der Fam­i­lie entschlossen und sind inzwis­chen dazu überge­gan­gen, das Haus mit Eiern zu bew­er­fen und Farbe zu besprühen. Es kann also bis zu den ersten Mah­nwachen und Fack­elumzü­gen nicht mehr lange dauern. Gruselig.

Nach Ansicht der zuge­höri­gen Youtube-Schnipsel der Sendung scheint mir das Prob­lem eher ein anderes zu sein: Statt „Ost gegen West“ oder „arm gegen reich“ geht es wohl eher um „dumm gegen gebildet“. Wenn man sich die Zerb­ster Fam­i­lie so anschaut, wird einem Angst und Bange. Man­gel­nde Bil­dung, man­gel­ndes Inter­esse am eige­nen Kind, Kon­flik­tun­fähigkeit und die nicht vorhan­dene Fähigkeit, das eigene Leben einiger­maßen ehren­haft zu meis­tern, lassen sich eben nicht an Iden­tität, Herkun­ft oder Wohn­sitz festmachen.

Darüber­hin­aus scheint nie­man­dem aufge­fall­en zu sein, daß die „west­deutsche“ Fam­i­lie eigentlich eine Mini-EU-Fam­i­lie aus ein­er gebür­ti­gen Polin und einem gebür­tigem Fran­zosen ist. Egal, das kann man im Eifer des her­beige­sehn­ten Ost-gegen-West-Krieges natür­lich get­rost unter den Tisch fall­en lassen.

Bin ges­pan­nt, wie sich die Geschichte entwickelt.

Vorstel­lung der Zerb­ster Fam­i­lie auf Youtube:

Mehr Youtube-Auss­chnitte aus der Sendung gibt es hier.

Atlas der deutschen Alltagssprache

Guten Tag, Grüezi, Grüß Gott, Servus, Moin Moin und Hallo!

Seit mehreren Jahren nimmt die Behörde an ein­er jährlichen Umfrage zum regionalen Sprachge­brauch in den deutschsprachi­gen Län­dern  (Deutsch­land, Öster­re­ich, der Schweiz, Nordi­tal­ien, Liecht­en­stein und Ost­bel­gien) teil. Durchge­führt wird das Pro­jekt von der Philol­o­gisch-His­torischen Fakultät der Uni­ver­sität Augsburg.

Ich bin ein Ex-DDR-Schlagersänger

Oh Mann. Da fragt man sich desöfteren, warum wir ost­zonalen Mit­bürg­er im Rest des Lan­des für bek­loppt gehal­ten wer­den. Bis dann wieder ein­er den Beweis antritt, daß wir es tat­säch­lich sind. Also natür­lich nicht alle, aber doch ein Großteil. Offen­sichtlich vor allem ein Großteil der­er, die von Beruf­swe­gen dem Schlager oder der Volksmusik zuge­tan sind. Okay, die gibt’s im West­en auch, und deren Texte sind genau­so bek­loppt. Nur weniger ein­sichtig; wer kann das eigene Ver­sagen und die Ent­täuschung so schön in Reime gießen wie Jörg Hin­demith das hier tut?

Ein­sicht ist der erste Weg zur Besserung. Reeller kann Real­satire doch gar nicht sein, oder?! Ganz großes Kino, so dicht neben ALDI. Aua aua aua, mir tut alles weh.

*Dank an Jule für den fre­undlichen Hin­weis. Ex-DDR-Schlager­sänger Jörg Hin­demith lebt in einem Nach­bar­dorf ihrer Eltern im Thüringer Wald.

9/11/89

Wer seine Wurzeln ver­leugnet, kann nicht in den Him­mel wachsen.
Oder so ähnlich.

Ich war in der Aus­bil­dung, hab den Mauer­fall ver­schlafen und mich am fol­gen­den 10. Novem­ber 1989 gewun­dert, daß ich der einzige war, der zur Arbeit ange­treten ist. Im Minu­ten­takt klin­gelte das Tele­fon und die Kol­legin­nen und Kol­le­gen ließen sich für den diesen Tag entschuldigen und macht­en sich auf den Weg nach Helm­st­edt, Braun­schweig oder gle­ich nach Berlin.

„Die Mauer ist offen!“ — „Echt?“

Ich kann mich nicht mehr erin­nern, ob auch die innerdeutsche Gren­ze tat­säch­lich schon am 10. Novem­ber geöffnet war, oder ob das erst Tage später der Fall war. Ich jeden­falls war am 17. Novem­ber zum ersten Mal im West­en. Ich war nicht begeis­tert. Ich war verwirrt.

Beim zweit­en oder drit­ten Besuch hab ich ich Helm­st­edt mein Begrüßungs­geld abge­holt. Im Nach­hinein betra­chtet, eine umge­drehte Form eines Ein­tritts­geldes: Jed­er DDR-Bürg­er erhielt 100,- D‑Mark und dafür einen Stem­pel in seinen Per­son­alausweis. Es mutet fast schon sub­ver­siv an, Geld zu bekom­men, statt Geld zu bezahlen. So hätte der Kap­i­tal­is­mus weit­er­ma­chen können. 😉

Naja, immer­hin ist die Kohle zu 100 Prozent wieder in der bun­desre­pub­likanis­chen Wirtschaft gelandet. In meinem Fall für ein Paar Motor­rad-Hand­schuhe und einige Langspielplatten.

Fernab jeden Deutsch­land- und Wiedervere­ini­gung-Wahns muß ich — auch wenn ich mir damit nicht nur Fre­unde mache — fest­stellen, daß ich über den Lauf der Dinge glück­lich bin. Ich ziehe ein Leben im Mir­doche­gal-Kap­i­tal­is­mus jed­erzeit einem Leben in der Duckmäuser‑, Gän­gelei- und Kleingeis­ter-DDR vor.

Schö­nen Son­ntach allseits.

Harald Hauswald ist ein Foto-Gott

Har­ald Hauswald (* 1954 in Rade­beul) ist ein deutsch­er Fotograf, der durch seine All­t­ags- und Berlin­fo­tografien bekan­nt wurde. Er ist Mit­be­grün­der der Berlin­er Fotoa­gen­tur Ostkreuz.

Nach ein­er Lehre als Fotograf und Arbeit in Rade­beul zog Har­ald Hauswald 1977 nach Berlin um, wo er zunächst ver­schiede­nen Tätigkeit­en nachging, so als Heiz­er, Restau­ra­tor, Foto­lab­o­rant und dann in seinem erlern­ten Beruf als Fotograf in der Stephanus-Stiftung in Berlin-Weißensee. 1989 wurde er in den Ver­band Bilden­der Kün­stler der DDR (VBK) aufgenom­men. Vor allem durch das Buch „Berlin-Ost Die andere Seite ein­er Stadt“, das er zusam­men mit Lutz Rathenow gemacht hat, gilt Hauswald als bedeu­ten­der kri­tis­ch­er Chro­nist der Endzeit der DDR. Seit 1990 arbeit­et er freiberu­flich, so waren seine Foto-Reporta­gen unter anderem in der GEO, im Stern und im ZEIT­magazin zu sehen. 1997 erhielt Hauswald das Bun­desver­di­en­stkreuz und 2006 den Ein­heit­spreis der Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung. (Quelle: Wikipedia.de)

… und wer’s nicht glaubt, der guckt bitte selb­st zuerst hier, dann hier, da noch, hier, da und natür­lich ganz unbe­d­ingt hier.

Zeitreise — Die Kinder von Golzow

Heute mal ein klein­er TV-Tipp vom Behör­den­team: „Die Kinder von Gol­zow“ ist eine filmis­che Langzeit­doku­men­ta­tion über die Schüler ein­er Schulk­lasse aus dem bran­den­bur­gis­chen Gol­zow im Oder­bruch. Von 1961 bis 2007 doku­men­tieren Bar­bara und Win­fried Junge 18 Men­schen auf ihrem Lebensweg. Dabei ent­standen mehr als 45 Stun­den Film­ma­te­r­i­al. Doch keine Angst: Es han­delt sich nicht um „Big Broth­er“ für Intellek­tuelle, son­dern um ein filmhis­torisch bedeu­ten­des und anspruchsvolles Werk.

„Am Abend jener Tage“ — Rock in der DDR

Durch beru­fliche Umstände bin ich an ein Vor­ab-Exem­plar des bald erscheinen­den Buch­es „Am Abend jen­er Tage“ gelangt. Es han­delt sich dabei um einen Bild­band zum The­ma Rock und Pop in der DDR. Wer Inter­esse an mitunter wirk­lich tollen Fotos und an der DDR-Musikgeschichte im all­ge­meinen hat, sollte unbe­d­ingt die Anschaf­fung des Buch­es in Erwä­gung ziehen…

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