Magdeburger Baseballschlägerjahre
Kurzes, aber sehenswertes Video über die Zustände im Magdeburg der 90er Jahre. Aus der ebenso empfehlenswerte ZEIT-Reihe „Baseballschlägerjahre“.
Macht mich heute noch unglaublich wütend und HASSend.
Kurzes, aber sehenswertes Video über die Zustände im Magdeburg der 90er Jahre. Aus der ebenso empfehlenswerte ZEIT-Reihe „Baseballschlägerjahre“.
Macht mich heute noch unglaublich wütend und HASSend.
1989. Ein Land bricht zusammen und hinterläßt nichts außer einem riesigen Vakuum. Jeder ist auf der Suche nach Orientierung, neuen Normen und Werten und mitten in dieser Leere herrschen Rat- und Planlosigkeit. Und es herrscht Gewalt. Ein Ereignis aus den frühen 90er Jahren ist mir neben dem Tod von Torsten Lamprecht und dem Tod von Frank Böttcher besonders in Erinnerung geblieben: Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und linken Jugendlichen Ende 1991 in Behnsdorf. Nichts darüber lässt sich im Internet finden, weshalb ich mich auf den Weg in Zeitungsarchiv machte und mit diesem Artikel die Vorfälle samt Überfall auf die Music-Hall in Behnsdorf Ende 1991 dokumentieren möchte.
Nachdem ich im Volksstimme-Archiv die Jahrgänge 1992 und 1993 erfolglos beackert habe, mußte ich von meiner trügerischen Erinnerung Abstand nehmen – ich hatte die Ereignisse in Behnsdorf zeitlich in diesen beiden Jahren verortet – und mich dem Jahr 1991 widmen. Im November wurde ich fündig.
Die Auseinandersetzungen in der und um die Music-Hall Behnsdorf fanden in der Nacht vom 2. auf den 3. November 1991 statt. Dem vorausgegangen war eine lange Kette von gewalttätigen Übergriffen durch Neonazis im Großraum Haldensleben.
Die Music-Hall war ein zur Discothek umfunktioniertes altes LPG-Gebäude, das von einem gewissen Manfred Kurth ab dem August 1990 betrieben wurde. Es wurde recht schnell auch zum Sammelbecken für Neonazis aus dem Raum Haldensleben, Magdeburg und Wolfsburg. Nazis im seinerzeit typischen Outfit – Bomberjacke, Springerstiefel, die obligatorischen Aufnäher – waren damals im Straßenbild und eben auch in Discotheken völlig normal. Aus dem Umfeld der Music-Hall gab es erste Übergriffe auf Menschen, deren Gesichter den Nazis nicht passten. Es reichte damals völlig aus, irgendwie anders auszusehen oder sich „anders“ zu verhalten. Man mußte kein Punk sein, um auf die Fresse zu bekommen. Alles, was nicht ins kleingeistige Weltbild unserer ewiggestrigen Freunde passte, wurde gnadenlos weggeprügelt. Auch ich hatte bereits 1990 das Vergnügen, zusammen mit einem Kumpel im Anschluß an das legendäre Rotten To The Core-Festival von 5 Glatzen überfallen worden zu sein… aber zurück zum Thema.
Nach einer Reihe von Überfällen und Körperverletzungen auf Punks und andere Jugendliche wurde zunächst zum Boykott der Music-Hall aufgerufen. Ein paar Tage später sammelten sich an der Discothek „Pleitegeier“ im benachbarten Flechtingen mehrere Dutzend junge Menschen und beschlossen, die Music-Hall im benachbarten Behnsdorf zu überfallen und den Nazis eine ordentliche Abreibung zu verpassen.
Es kam zu massiven Körperverletzungen, Ausschreitungen und Zerstörungen. Ich kann mich erinnern, gerüchteweise von Toten gehört zu haben; dazu ließ sich allerdings nichts finden. Laut Augen- und Ohrenzeugen war es ein babarisches Schauspiel apokalyptischer Gewalt; und zwar auf beiden Seiten. Ich bin dazu mit 2 Menschen im Gespräch, die dabei waren. Vielleicht folgt ja später noch ein Interview oder ein Augenzeugenbericht.
Vorerst jedoch sind in nachfolgender Galerie die Ereignisse – aus Sicht der Volksstimme-Redakteur*innen natürlich – dokumentiert. Außerdem geben die Artikel einen guten Eindruck davon, wie boulevardesk und auf der Suche nach journalistischem Niveau die Lokalpresse damals war. Man hatte wohl große Angst, die Abo-Kunden laufen in Richtung BILD davon… Interessant auf jeden Fall, die völlig sinnfreien Antworten der befragten „rechten Jugendlichen“, die Flugblätter der „AFA-HDL“, oder die Bemühungen vom damaligen Bürgerrechtler Hans-Jochen Tschiche – alles in der Galerie zu lesen.
Gute Unterhaltung, soweit man bei diesem Thema von Unterhaltung reden kann.
Gestern war ich im Archiv der Lokalzeitung zu Gast, um für ein Thema zu recherchieren, dessen Abarbeitung mir schon seit langem unter den Nägeln brennt. Der Beitrag dazu kommt sicher in den nächsten Wochen.
Quasi nebenbei sind mir einige interessante Artikel aus den Jahren 1993 und 1994 aufgefallen, die ich hier gern dokumentarisch und mit kurzen Anmerkungen versehen, präsentieren möchte. Als Ergänzung zum Beitrag 60 Jahre Rock! in Haldensleben sicher nicht uninteressant. Alle Fotos sind anklick‑, vergrößer- und somit hoffentlich im Original lesbar.
Agnostic Front, Madball und die Lokalhelden von Veitstanz im Haldensleber „Club“. Heute undenkbar, bzw. wohl eher nicht mehr bezahlbar. Die Haldensleber Bollo-Core-Fraktion um Pohli, Digger, Herrn K. & Co. hat damals wirklich mächtig was auf die Beine gestellt…
… wie man auch am Auftritt von Neurosis und Integrity sehen konnte.
… für die Suicidal Tendencies hat es nicht gereicht, aber dafür kamen deren „kleine Brüder“ von D. I. in die Kreisstadt. Außerdem waren Need A New Drug und die mir gänzlich unbekannten Punishment Park dabei. Anarchist Academy – kennt die noch jemand? — hatten abgesagt.
Ein Open Air gegen Gewalt mit Big Savod & The Deep Manko, Kampanella Is Dead und den Lokalbands Invisible Art, Die Weißen Westen und Steingut. Das hätte ich mir gern angesehen, keine Ahnung, warum das an mir vorbeiging. Von Steingut allerdings habe ich nie gehört. Ob hier eventuell Schneeblind gemeint sein könnten?
Der Debüt-Gig von Invisible Art. Und dann gleich zusammen mit Die Skeptiker
Unsere Vorzeige-Indie-Rocker auf dem Weg zum Weltruhm. Leider haben sie kurz davor die Maschine angehalten.
Ein kurzer aber interessanter Reisebericht vom Polen-Konzert von Insivible Art, BLB, Veitstanz und DLH.
Und schlußendlich:.
Auf dem schönen Saal „Zur Grünen Aue“ in Uthmöden fand tatsächlich ein Punkkonzert mit 10 Bands statt. Mit dabei: Schimmelbrot, Tetra Vinyl, Restrisiko. Das Ganze auch noch zu einem guten Zweck: Der Unterstützung von Flüchtlingen aus dem gerade auseinanderbrechenden Jugoslawien. Ein Augen- und Ohrenzeuge versicherte mir gestern, das über 4.000 DM für den guten Zweck zusammenkamen. Von den Renovierungskosten des halb zerstörten Saals hat er mir nichts erzählt. Bis auf die Tatsache, dass der ehemalige Abschnittsbevollmächtige am Tag nach dem Konzert zur Schadensaufnahme mit einem Fotoapparat erschien… 😀.
Ende.
Ernährungsfehler waren eine Punkband aus Haldensleben und sowas wie die ständigen Begleiter meiner Dorfjugend. Die Band existierte von erstmals von 1989/1990 bis 1991; im Jahr 2005 gab es eine 2 Jahre anhaltende Re-Union.
Vorläufer war die bereits von 1984 bis 1987 existierende Punkband Sigmund Jähn und die Jungpioniere, die auf „natürlichem“ Weg zerfiel (Lehre, Beruf). Der Proberaum existierte jedoch noch eine Weile weiter, Lemmy und Peter gründeten später eine Punkband namens Schneeblind, Wolfgang Miehe suchte und fand 1990 neue Mitstreiter in Nico Zeplin, Maik Niewerth und zu guter letzt Thomas Koch aus dem nahen Hakenstedt, seitdem hieß dieses Projekt Ernährungsfehler. Das erste Konzert fand beim legendären „Rotten To The Core“-Festival im August 1990 am Haldensleber „Bierkeller“ statt. Zusammen mit den Weißen Westen, den Emils, Veitstanz und Stellung 43. Sogar die Boskops waren angekündigt, sind aber meiner Erinnerung nach nicht erschienen oder aufgetreten. (Mehr über das Festival gibt es in der Galerie zum Artikel „60 Jahre Rock in Haldensleben“.)
Promofoto, vermutlich an der Ohre, ca. 1990
Die Bekanntheit der Band stieg steil an, es folgten viele Auftritte in Ost- und Westdeutschland und ein legendäres, in Magdeburg bei Peter Bauske (R&B Music Production) aufgenommenes Tape „Wirre Gedanken eines blinden Mannes“, das später sogar als LP veröffentlicht wurde. Die in dieser Zeit gleichzeitig zunehmenden und immer gewalttätiger werdenden Auseinandersetzungen zwischen linken Jugendlichen und Neonazis, die inzwischen sogar zu Todesfällen geführt hatten, hatten schon 1991 die Auflösung von Ernährungsfehler zur Folge.
Das erste Livekonzert beim "Rotten To The Core"-Festival im August 1990 am Bierkeller in Haldensleben
Thomas Koch wechselte zu Invisible Art und betrieb danach sein eigenes Bandprojekt Aktion Steinreich. Nach dem tragischen Krebstod von Schlagzeuger Maik Niewerth kam es durch ein Benefizkonzert zugunsten eines würdigen Grabsteins am 23. April 2005 in der Sackfabrik Magdeburg zu einer überraschend gefeierten und erfolgreichen Re-Union von Ernährungsfehler. Das Konzert ist unter dem Titel „Blinder Mann – live“ auf CD und DVD veröffentlicht wurden. Später entstanden zwei neue Alben, bevor sich die Band 2007 endgültig auflöste.
2008 gründeten René Freyhold, Daniel Szwillus und Nico Zeplin in Magdeburg Ben Racken. Thomas Koch arbeitet als Holzbildhauer ebenfalls in Magdeburg, sein aktuelles Musikprojekt heißt passenderweise Wood House Crew.
Die Testpressung zu "Sturmverse".
Dieser Tage wird das 2007er Album der Band „Sturmverse“ auf Vinyl wiederveröffentlicht. Für das Release zeichnet Sick Suck Records verantwortlich, dort ist das Album auch bestellbar. Wie man hört, soll es mit weiteren Releases von Ernährungsfehler und Invisible Art irgendwann weitergehen. Sogar ein Release von Sigmund Jähn und den Jungpionieren ist geplant. Eine Ankündigung, die ich auf das Allerfreudigste begrüße, besitze ich von letzteren doch nur 2 Titel auf einem Tape-Sampler.
Ein sehenswerter Dokumentarfilm von Andreas Vogt aus dem Jahr 1990. Läßt sich leider nicht einbetten, hier geht’s zum Film.
Herbst ’89, die Ereignisse auf den Straßen in Leipzig überstürzen sich. Und doch sind nur wenige Dokumentarfilmer in diesen entscheidenden Tagen mit der Kamera dabei. „Leipzig im Herbst“ war die erste und ist die wohl umfassendste Dokumentation der Ereignisse. Im Film kommen Demonstranten, Polizisten, Wehrpflichtige, Pastoren, Arbeiter und Funktionäre zu Wort, es zeigen sich Erbitterung, Angst und Hoffnung, und jene gefährliche Zuspitzung der Lage, als fast jeder mit Gewalt rechnete.
Neben der revolutionären Masse auf den Straßen werden die verschiedenen Menschen sichtbar — auf beiden Seiten. Revolution in Deutschland zwischen Erbitterung und Hoffnung — ausgetragen zwischen Dienstschluss und Schlafenszeit.
Das wir alt geworden sind, merken wir nicht nur daran, daß auf den Torten kaum noch Platz für die Geburtstagskerzen ist, sondern auch daran, daß „unsere“ Alben alt geworden sind. Automatic For The People ist gestern 25 geworden. Es ist hervorragend gealtert; es geht ihm gut und es läßt schön grüßen. Ich hab mir die CD bei Erscheinen 1992 in London gekauft und die läuft immer noch. Eines meiner wenigen Top-Alben, das ich nicht auf Schallplatte besitze. Anfang November jedoch gibt’s zum Geburtstag eine Wiederveröffentlichtung, da werde ich eventuell zuschlagen.
Bei der Vielzahl an guten Songs, weiß ich gar nicht, wo ich mit dem Loben anfangen soll. Drive ist einer der tollsten Opener aller Zeiten, Try Not To Breathe ist einfach großartig, Nightswimming, Find The River … alles allergrößtes Kino. So gut waren R.E.M. auf Albumlänge leider nie wieder… oder, um es kurz zu machen, der erste Youtube-Kommentar unter dem Album Stream: „One of the best albums ever made. Enough said.“ Happy Birthday, altes Haus!
Am kommenden Dienstag, dem 9. Mai, ist der Überfall an den Elbterrassen in Magdeburg-Cracau genau 25 Jahre her. Torsten Lamprecht starb zwei Tage später an den Folgen des Angriffs.
Für mich persönlich stellt dieser Tag bis heute eine Zäsur dar. Seit dem 9. Mai 1992 ging es um Leben oder Tod, das weiß jeder, der erlebt hat, was für ein gewalttätiges und rassistisches Drecksloch das Magdeburg der 90er Jahre war. Ich möchte mich dazu nicht weiter auslassen, sondern lieber auf die Gedenkveranstaltung am Dienstag, dem 9. Mai 2016 um 16.00 Uhr hinweisen. Die Mahnwache findet am Torsten-Lamprecht Weg/Ecke Brücke am Wasserfall statt. Der Veranstaltungsort befindet sich in unmittelbarer Nähe der ehemaligen „Elbterrassen“.
Darüber hinaus findet am Mittwoch, den 17. Mai 2016 um 19.30 Uhr eine Diskussionsrunde unter dem Motto „„Torsten Lamprecht ist tot!“ – Die Stadtgesellschaft und die Erinnerungskultur an die rechte Gewalt der Neunziger Jahre“ statt. Die Veranstaltung läuft unter dem Leitsatz
1992: Angriff auf die „Elbterrassen“ und Tod von Torsten Lamprecht, 1994: „Himmelfahrtskrawalle“, 1997: tödlicher Angriff auf Frank Böttcher: Die Neunziger Jahre waren ein Jahrzehnt massiver rechter Gewalt. Wir wollen in der Veranstaltung zurückschauen auf diese Zeit zurück- und davon ausgehend auf heute schauen: Was hat sich in der Magdeburger Stadtgesellschaft im Umgang mit rechter Gewalt seitdem verändert? Was müsste noch getan werden?
und findet in der Feuerwache, Halberstädter Straße 140, statt.
Organisiert werden beide Veranstaltungen vom Bündnis gegen Rechts Magdeburg.
Bin beim Googlen nach Bildern der Stadt Magdeburg vor dem 2. Weltkrieg auf dieses Bild gestoßen. Es datiert allerdings auf 1992, und somit deutlich in eine Zeit nach dem 2. Weltkrieg. An sich ist an dem Bild nichts Besonderes, wäre da nicht der Balkon in der linken oberen Ecke des Bildes. Das ist das Haus Breiter Weg 227 und dieser Balkon war einige Jahre lang der meinige. Da ich kaum Fotos aus dieser Zeit habe, habe ich mich über den Schnappschuss gefreut. Magdeburg ist sowas wie meine alte Hassliebe, eine eigentlich schöne Stadt; wären da nicht die ganzen Magdeburger… Erfreulicherweise ist der Ruf der Stadt in den letzten Jahren aber besser geworden.
Endlich auf Vinyl im Haus: Pearl Jams zweites Album „Vs.“. Ein Knüller vor dem Herrn, mit keinem anderen Album verbinde ich soviele Erinnerungen an die frühen neunziger Jahre, von R.E.M.s „Automatic For The People“ mal abgesehen. Großes Grungetennis auf Top-Niveau, laut, adrett, nassforsch, epochal und phänomenal. Die 180g-Pressung auf Music On Vinyl klingt einfach schweinegeil. Heute Mattenschütteln bis nach Mitternacht! I’d rather be … I’d rather be … leik enn ENNIMELL!!!!!
Erxleben im April 1990. Wer’s kennt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Wer’s nicht kennt, kann sich kaum vorstellen, wie es dort heute aussieht. Einfach mal an der Abfahrt Bornstedt von der A2 runter auf die B1 fahren und in Helmstedt-Ost wieder drauf. Dann kommt der Interessierte durch Erxleben…
Die Fotos habe ich von der Seite Europeana 1989 ausgeliehen. Die nachfolgenden Infos über diese Seite stammen von tracktate: „Auf der Plattform europeana 1989, initiiert von der Deutschen Kinemathek, dem Museum für Film und Fernsehen, können Menschen aus ganz Europa ihre Geschichten, Fotos und Dokumente posten, die sie mit dem politischen Umbruch 1989 in ganz Europa verbinden. So soll ein einzigartiges bebildertes kollektives Gedächtnis entstehen. Dass 1989 weniger ein Moment, sondern vielmehr der Fixpunkt eines Prozesses ist und als solcher demzufolge eine Vor- und eine Nachgeschichte hat, wird auf den Fotos, die User bis dato online gestellt haben, sehr schön deutlich…“
Tolle Bilder dabei, unter anderem auch vom Grenzübergang in Marienborn. Sollte man gesehen haben!