Frank Turner/Social Distortion in Leipzig

Manch­mal muß man ein­fach weg. Wir schreiben das Jahr 2011, es ist der 2. Juni und Deutsch­lands Väter feiern ihren Vatertag. Die Straßen sind über­füllt mit voll­trunk­en­em Pöbel und mein väter­lich­er Nach­bar meint, er müsse den Nach­mit­tag mit Bums- und Fick­musik ((Man verzei­he mir die für meine Ver­hält­nisse ungewöhn­lich derbe Wort­wahl. Es ist, wie es ist.)) ausklin­gen lassen. Nicht nur, daß es nun laut Uff uff uff, heut‘ fahr’n wir in den Puff schallt, nein, es ist ihm offen­bar auch nicht im ger­ing­sten pein­lich. Bevor ich also zur Axt greifen kann um dem Grauen ein ver­di­entes Ende zu bere­it­en, sat­tele ich meinen alten Klep­per und ori­en­tiere mich in Rich­tung Leipzig. Denn reich hat man mich beschenkt, eine Karte für Frank Turn­er und Social Dis­tor­tion bekam ich zu meinem Geburt­stag übereignet.

Ich starte also mein Auto­mo­bil und hole noch meine Begleitung, plus eine weit­ere Per­son die zufäl­lig ger­ade nach Halle/Saale will, ab. Auf der Fahrt zu den bei­den denke ich immer noch über meinen ger­ade ver­säumten Amok­lauf nach und frage mich, ob nicht manch Amok­läufer vielle­icht doch einen trifti­gen Grund für sein gar schändlich­es Tun hat­te. Ich komme zu keinem ein­deuti­gen Schluß und vertage das Nach­denken über Amok­läufe auf den Sanktnimmerleinstag.

So wird es 19.00 Uhr, als ich den vere­in­barten Abholpunkt erre­iche. Ohne langes Trara, Zack­za­ck oder Gelaber steigen die bei­den Fahrgäste in mein Auto­mo­bil und wir brechen in Rich­tung Leipzig auf. Die Fahrt bis Halle verge­ht in Nul­lkom­manix, denn wir haben inter­es­sante The­men: Ehec, Urbanes Leben, Alko­hol, Quan­ten­physik. Alles wie immer.

Kurz vor Halle werfe ich einen flüchti­gen Blick auf meine Ein­trittskarte um festzustellen, daß der Ein­laß zum Konz­ert bere­its um Punkt 19.00 Uhr erfol­gt. Offizieller Start laut Karte ist 20.00 Uhr. Mit den Startzeit­en ist es ja immer so eine Sache — in 95% aller Fälle geht’s ohne­hin nicht pünk­tlich los. Den­noch ger­ate ich nun etwas in Sorge und bret­tere — nach­dem uns unser Fahrgast in Halle ver­lassen hat — mit knapp 200 km/h weit­er in Rich­tung Leipzig.

Wir sor­gen uns nun doch etwas, den Frank Turn­er vielle­icht in Teilen zu ver­passen. Um 20.40 Uhr erre­ichen wir nach Park­platz­suche und 5‑minütigem Fuß­marsch das Haus Auensee in Leipzig. Nette Loca­tion, direkt an einem See (Auensee?) gele­gen, schön grün, schön warm und verkehrs­gün­stig gele­gen. Dort angekom­men erwartet uns eine große Men­schen­traube vor der Halle. Man ist gut­ge­launt, trinkt Bier und führt seine Tat­toos spazieren. Ich entspanne mich merk­lich, als ich sehe, daß ein Großteil des Pub­likums noch draußen ste­ht und das Konz­ert fol­glich noch nicht begonnen hat. 

Wir check­en zuerst die Toi­let­ten (10 Minuten anste­hen!) dann den Innen­raum und anschließend das Pub­likum. Let­zteres beste­ht zu 80% aus zuge­hack­ten Aushil­f­samerikan­ern, die auch als tex­anis­che Farmer, kali­for­nische Sun­ny­boys oder Rock­a­bil­ly-Buben aus Mis­souri durchge­hen wür­den. Es gibt augen­schein­lich nie­man­den, der nicht tätowiert ist. Bis auf uns. Die restlichen 20% der anwe­senden Horde beste­hen aus Skin­heads und den Fre­un­den der Hardcore-Musik.

Wir suchen uns ein guten Platz, rel­a­tiv weit vorn aber seitlich gele­gen. Es ist an Leuten angenehm luftig, da hät­ten gut und gern noch 200 Zuschauer mehr Platz gehabt. An der schlecht­en Luft ändert das allerd­ings wenig. Mir ste­ht vom bloßen Rum­ste­hen der Schweiß auf der Stirn und mein­er Begleitung ist gar ein wenig übel. Das kön­nte eventuell aber auch an unserem fort­geschrit­te­nen Alter liegen, denn aus­nahm­s­los alle scheinen jünger zu sein.

Auf der Bühne tut sich nichts, außer man sound­checkt. Als das Schlagzeug dran ist, denke ich noch so bei mir: Das kön­nte man aber etwas leis­er drehen, beson­ders die Bass-Drum scheint mir unglaublich präsent zu sein. Eine Ein­schätzung, die sich im weit­eren Ver­lauf des Abends bit­ter bestäti­gen wird. Man sound­checkt also weit­er rum und plötzlich …

… wird es dunkel. In trauter Vor­freude auf Frank Turn­er ger­ate ich in eine Art eupho­risch­er Kurzex­tase. Es brummt, es summt, es klingt und es tönt: Man spielt eine Fan­fare. Ich denke so bei mir, Men­sch, das klingt aber schon verdächtig nach Social Dis­tor­tion… Wo bleibt denn mein Fre­und, der Frank?! Da es auf der Bühne weit­er­hin dunkel bleibt, sehen wir nur schemen­haft Gestal­ten im Dunkeln huschen. Plöt­zlich erklingt der erste Song, und tat­säch­lich, nach etwa 30 Sekun­den erkenne ich So Far Away. Lei­der nicht von Frank Turn­er, son­dern von Social Dis­tor­tion. Schla­gar­tig fällt es mir wie Schup­pen aus den Haaren:

Wir haben Frank Turn­er verpaßt.

Großer Gott, wir haben Frank Turn­er verpaßt!

Nur Sekun­den später begin­nen wir vor unseren geisti­gen Augen mit der Rück­rech­nung: Wenn Frank Turn­er tat­säch­lich um Punkt 20.00 Uhr begonnen hat und 35 Minuten spielte — ja, dann hät­ten wir tat­säch­lich Frank Turn­er ver­paßt. Und genau­so muß es gewe­sen sein, denn da war er tat­säch­lich und gespielt hat er auch, unser Frank Turner.

Wir machen ziem­lich lange Gesichter. Den­noch beschließen wir, uns nicht weit­er zu ärg­ern, son­dern stattdessen lieber Social Dis­tor­tion zu genießen. Das allerd­ings fällt schw­er, denn der Livesound ist so unfaßbar mies und grot­tig, daß man jeden Song nach früh­estens 20 Sekun­den erken­nt. Sog­ar die großen Hits. Einen der­maßen schlecht­en, extrem bass­lasti­gen Sound habe ich tat­säch­lich noch nie erleben dür­fen. Oder müssen. Jede Gitarre, jedes gesun­gene Wort geht im Gebolze von Schlagzeug und Bass­gi­tarre unter. Während ich noch damit rechne, das der Mix­er den Sound nach 3 Songs wohl im Griff haben wird, ändert sich gar nichts. Es bleibt das ganze Konz­ert über ein unfaßbar schlim­mer Matsch und Murks und audio­philer Schlamm. Schlimm.

Die Setlist bestand nach mein­er Erin­nerung (nicht voll­ständig!) aus Bad Luck, Machine Gun Blues, Ball and Chain, Gimme the Sweet and Low­down, Prison Bound und Bak­ers­field. In der Ansage zu let­zt­ge­nan­ntem Song ver­gle­icht Mike Ness das Leben in Bak­ers­field mit dem „Life in East­ern Ger­many“. Ein Ver­gle­ich, der nicht nur hinkt, son­dern auch ein bißchen naiv daherkommt. Das Pub­likum freut sich trotzdem.

Nach nur 75 Minuten ist das reg­uläre Set auch schon vor­bei. Es fol­gen im Zugabeblock Cal­i­for­nia (Hus­tle and Flow) und Can’t Take It With You, bei­de mit zwei Back­ground-Sän­gerin­nen ganz ordentlich in Szene geset­zt. Zum Abschied gibt’s dann noch Ring of Fire oben­drauf. Selb­st diesen Song erkenne ich erst nach 30 Sekun­den. Unfaßbar. Zweifel­nd, ob es nicht doch vielle­icht an mir liegt, frage ich meine Beglei­t­erin nach ihrem Soundempfind­en. Ihr ging’s genau­so, was mich beruhigte, aber nicht glück­lich­er machte.

Zwis­chen­durch legten wir draußen noch eine Raucher­pause ein und stat­teten der beza­ubern­den Sarah (Frank Turn­ers Mer­chan­dise-Lady) einen Besuch ab. Meine Begleitung kaufe 2 CDs und so gab’s für mich kosten­los ein Plakat obendrauf.

T‑Shirts von Frank Turn­er kosteten 15 EUR, CDs nur einen Zehn­er. Social Dis­tor­tion nehmen unver­schämte 30 EUR für ein T‑Shirt, 50 für einen Kapuzensweater und sagen­hafte 100 EUR für ein Tour­jäckchen. Ich bin einiges gewohnt, aber diese Preise ließen mich kopf­schüt­tel­nd zurück.

Die Rück­fahrt ver­lief prob­lem­los und war unter­halt­sam. In Kön­nern hat’s einen guten Burg­er King, dort kehrten wir noch ein um etwas zu essen. Uns fol­gte ein Sko­da Octavia aus dem Bördekreis mit vier Hard­core-SD-Fans, die ich hier­mit her­zlich grüßen möchte.

Der näch­ste Mor­gen entschädigt mich für das durchwach­sene Konz­ert­er­leb­nis, denn schlußendlich halte ich nach langem Warten die neue Frank Turn­er LP Eng­land Keep My Bones in meinen gebrech­lichen Hän­den. Feines Album. Aber dazu vielle­icht ein ander­mal mehr…

P. S. Die nicht ganz so schö­nen Fotos bitte ich zu entschuldigen — Handygedöns ist kein Fotogedöns!

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