Aus dem Magdeburger Stadtmagazin „DATEs“: Die Kolumne des Monats Oktober. Soooo gut, daß ich mir die Mühe des Abtippens gemacht habe und außerdem sehr neidisch bin, sowas Gutes nicht selbst geschrieben zu haben:
In München erschlägt sie auf S‑Bahnsteigen Menschen, in Ansbach läuft sie Amok, in Sachsen-Anahlt wählt sie zu 7% NPD — unsere Jugend ist einmal mehr ins Gerede gekommen. Die Verantwortlichen schwanken bei der Ursachenbekämpfung erneut zwischen einer Verschärfung des Jugendstrafrechts und einer Erhöhung der Polizeipräsenz — und bei der Ursachenforschung zwischen dem Konsum medialer Gewaltexzesse und der allgemeinen Perspektivlosigkeit. Gerade letztere freilich ist eine absolute Chimäre. Es möge doch bitte einer der Schwätzer, die dieses Gratisargument permanent ins Feld führen, einmal eine deutsche Jugend benennen, die über eine bessere Perspektive verfügt hat! Es mag ja sein, daß die junge Generation unmittelbar nach der gewonnen Schlacht im Teutoburger Wald, dem Einzug von Kaiser Wilhelm in Versailles oder dem Überfall auf Polen die Zukunft rosarot gesehen hat — aber dieser Perspektivrausch ist doch jeweils recht bald wieder verflogen.
Die heutige Jugend dagegen sieht sehr wohl eine Perspektive, auch wenn diese jeden Freigeist mit abgrundtiefem Grausen erfüllt: Bei der bundesweiten „U‑18-Wahl“ ist in Sachsen-Anhalt die CDU zur stärksten Fraktion geworden. Die CDU! Das muß einen freilich nicht wundern, wenn man bedenkt, daß unsere Jugend repräsentativen Umfragen zufolge feste Bindungen, sexuelle Treue und Absicherung als „sehr wichtig“ empfindet. Diese Generation würde Abitur- und Hochzeitsfeier am liebsten gleich zusammenlegen und hat ihr Jugendweihe- oder Konfirmationsgeld wahrscheinlich längst in die Altersvorsorge investiert. Diese Generation protestiert nicht mehr, sondern unterwirft sich willenlos dem Konsumterror. Diese Generation findet Sicherheit wesentlich wichtiger als Freiheit. Diese Generation verschleudert ihr Taschengeld nicht für käufliche Liebe, Musik und Drogen, sondern für lächerliche Markenklamotten und Klingeltöne. Sex, Drugs & Rock’n’Roll liefern großartige Räusche, aus denen man freilich immer wieder erwacht — aus einem kläglichen Klingeltonrausch erwacht niemand mehr.
Ich habe Angst vor dieser Jugend. Sie steht nun einmal für die Perspektive unserer Gesellschaft — und wenn ich mir vorstelle, daß in diesen sinnlos simsenden Händen irgendwann die Geschicke unseres Landes liegen werden, dann will ich, wenn es so weit ist, entweder im Grab oder in einer unter Palmen aufgespannten Hängematte liegen. Und dann will ich mit einer üppigen Rente ausgestattet sein und darum bin ich mit den Sonntagsreden unserer Politiker absolut nicht einverstanden: ich bin nämlich sehr wohl dafür, auf dem Rücken dieser Generation weitere Schulden zu machen. Es können gar nicht genug sein. Bezahlen wir ihnen die Sicherheit, nach der sie sich so sehr sehnen, und bringen uns vor allem selber in Sicherheit. Sollen sie ächzen und stöhnen unter der Last dieses Schuldenberges — das ist eine gerechte Strafe dafür, schon mit 17 CDU gewählt zu haben.
AMEN! 😈
ja der Herr Precht hat das gestern beim kulturmagazin auch so ähnlich formuliert. Alle gelangweilt, keinen Grund mehr zum Widerstand oder Zustände zu ändern, denn uns gehts doch gut. Es müssen erst katastrophale Zustände ausbrechen bevor sich irgendjemand bewegt. Und davon sind wir ja meilenweit entfernt. Politiker können doch heute, wenn mans genau nimmt auch irgendwie gar nix mehr bewegen. Sie tun einfach so als könnten sie es aber insgeheim wissen wir alle dass es weder Volksparteien noch Opposition mehr gibt und dass eben jeder schaut wo er selber bleibt.
naja ich finde den artikel etwas sehr populistisch … es gibt nicht ‚die‘ jugend … es ist genauso wieder ein teil der so denkt und wenn wir anfangen so zu denken, dann muss unsere generation sich ihr politikverdrossenheit von den alten vorwerfen lassen, keiner will aktive politik machen, keiner will sich einspannen, verbiegen lassen, wir bekommen viel zu spät kinder etc etc … mehr differenzierung taete dem artikel meiner meinung nach gut … (nichts destotrotz ist cdu fürn arsch 🙂 )
@ alle: Ich find Polemik und Populismus toll, aber nur solange, wie sie in mein Konzept passen. 😆 Natürlich ist der Text polemisch, aber das macht ja irgendwie auch den Reiz aus.
Ich musste wirklich sehr über den Artikel schmunzeln… und ich find‘ Polemik auch toll! Wollte allerdings ebenso anmerken: Meine Generation war da fast noch schlimmer als die jetzige Jugend — wir haben Beverly Hills 90210 geguckt, sind jedes Jahr nach Mallorca geflogen, haben Euro-Dance gehört und Boygroups angehimmelt. Ganz ehrlich — sinnvoll war das alles nicht… und trotzdem sind irgendwie irgendwann noch Menschen aus uns geworden, die über den Tellerrand hinaus gucken (also aus mir jedenfalls). Ich wäre da also etwas optimistischer — auch die jetzige Jugend wird sich in ein paar Jahren dafür schämen, dass ihnen Klingeltöne und Markenklamotten (diesen Trend gab’s bei uns übrigens auch schon!) wichtiger waren als politische Verantwortung zu übernehmen. Und davon abgesehen würden doch die meisten 17–20jährigen eh die Partei wählen, die ihre Eltern wählen. Kein Wunder also, dass die CDU da so gut abschneidet…
Da muß ich widersprechen, Vero. Die heutige Jugend wird sich nicht für Klingeltöne, Playboy-Klamotten und ihre Doofheit schämen. Ganz im Gegenteil: Die Dummheit wird sich irgendwann etabliert haben und eine intellektuelle Gegenkultur nur noch in einer Parallelwelt existieren. Die Spaßgesellschaft hat doch schon gewonnen; und wenn die Verehrer und Vertreter derselben irgendwann die Geschicke dieses Landes übernehmen, möchte ich bitte in oben erwähnter Hängematte liegen.
Hattest Du im Alter von 17 bis 20 Jahren den dringenden Wunsch, es Deinen Eltern nachzutun? Dann muß in Deiner Jugend etwas „falsch“ gelaufen sein. 😉 Jugend ist Opposition, leider opponiert sie heute oft in die „falsche“ Richtung. Jugend ist Abgrenzung, Sinnsuche, Rebellion und Verwirrung. Genau deshalb ist der Wahlsieg der CDU bei den unter 18-Jährigen eigentlich unfaßbar.
Oppa regt sich jetzt wieder ab… 😉
Also meine Eltern wählten SPD und grün, und ich würde mal stark behaupten, dass ich mich davon bei meiner ersten Wahl beeinflussen ließ. Was politische Themen betrifft, habe ich mich sehr wohl sehr stark von meinen Eltern beeinflussen lassen, als ich 17 und 18 war. Jetzt sieht das ein bisschen anders aus… 😉
Was „Jugend ist Opposition“ betrifft — klar, ich habe auch „opponiert“. Glaubst du, meine Mama fand es lustig, dass ich diese Bummbummbumm-Musik gehört habe? Trotzdem höre ich die heute nur noch aus Nostalgiegründen und bevorzuge im Allgemeinen weniger sinnfreie Musik! Und ich trage auch keine Marken-Klamotten mehr, nur weil da ganz groß der Name drauf steht. Wenn überhaupt, dann muss mir das Teil schon sehr gut stehen… 🙂
Ich glaube, bei mir hat die „Sinnsuche“ erst zwischen Abi und Studium angefangen. Es gibt also noch Hoffnung für unsere Kids und unsere Zukunft! Glaub mir — das mit den Generationen ist doch ein ewiger Kreislauf. Es kommt auch wieder eine kritischere, da bin ich mir ganz, ganz sicher! 😆
PS: Bzw. wird die jetzt unkritische bestimmt auch noch etwas kritischer…
*räusper*.…wenn ich auch noch meinen kleinen, soziologischen Fingerzeig aufführen darf.
Da werden der Jugend doch zwei Dinge unterstellt: der Hang zur Spaßgesellschaft und Sinnfreiheit- und die Suche nach Sicherheit.
Ich würde mal behaupten: die Jugend kann für beides nix!
„Die Jugend“ sofern es sie denn als homogene Masse gibt, sucht sich immer noch Vorbilder. Die Vorbilder die geliefert werden sind in der homogenen Vorbildmasse meistens solche Leute wie Dieter Bohlen oder Paris Hilton- also wundert Euch nicht. Und ich würde Vero insofern zustimmen, dass die Phase, in der man als Jugendlicher in der Lage ist, sich ein Stück weit vom homogenen Mob abzusetzen, wahrscheinlich erst mit 17–18 beginnt. Es sei denn, man hat sich schon im Vorfeld dem Protest verschrieben.
Da wären wir bei Thema 2. Meine Jugendgeneration hatte noch so einen Rest von Spiessigkeit in der Eltern Generation, gegen den es sich durchaus zu prostestieren lohnte. Die heutige Generation hat Eltern, die entweder vorleben, dass man den Tag durchaus auch mit dem Konsum von Verkaufssendungen totschlagen kann, oder Eltern, die in wilder Ehe, Patchworkfamilien und Alleinerziehend leben. Eltern, die nicht 50 Jahre im selben Betrieb arbeiten werden, sondern die vielleicht mal ganz froh wären, wenn sie über 2 Jahre die gleiche Stelle halten würden. Die heutige Generation wächst mit soviel möglichen Lebensentwürfen und Stilen, und soviel Entscheidungsfreiheit auf, dass es mich überhaupt nicht wundert, dass sie gern ein bißchen Sicherheit hätten. Ich stelle dabei durchaus in Frage, ob CDU wählen, dazu ein geeignetes Mittel ist. Aber seid getrost und beruhigt. Jede Generation produziert eine Gegenbewegung. Spätestens 2030 werden die Kids wieder hübsch anarchisch sein 😉
mhm vielleicht sind wir dann ja die spiesser 😛
@ Vero & Gnomo: Danke für eure langen Beiträge die mich irgendwie ein bißchen ratlos zurücklassen. Außer der Hoffnung auf 2030 (dann mit mir als Spießer) bleibt mir noch die Hoffnung auf einen gnadenlosen Irrtum meinerseits. Bis dahin geh ich aber weiter meine Vorurteile pflegen… 😉
.….wiiiiiirrrr sind 2030 natürlich nicht die Spiesser- wir haben dann so etwa den Status wie die coolen Alt 68er heute.…hm- hoffentlich.…,-)
… ich dachte gerade *die* wären nach neuesten Erhebungen an allem schuld?! 😉
„die“.….SIE.….stecken sie etwa alle unter einer Decke.…völlig neue Erkenntnisse ( vielleicht lebt Elvis ja doch noch, und steuert mit Michael Jackson den kulturellen Niedergang.….hmmmm.…)
Ach was, wirklich schuld ist nur Kai Diekmann!