Mit 17 keine Träume mehr

Aus dem Magde­burg­er Stadt­magazin „DATEs“: Die Kolumne des Monats Okto­ber. Soooo gut, daß ich mir die Mühe des Abtip­pens gemacht habe und außer­dem sehr nei­disch bin, sowas Gutes nicht selb­st geschrieben zu haben:

In München erschlägt sie auf S‑Bahnsteigen Men­schen, in Ans­bach läuft sie Amok, in Sach­sen-Anahlt wählt sie zu 7% NPD — unsere Jugend ist ein­mal mehr ins Gerede gekom­men. Die Ver­ant­wortlichen schwanken bei der Ursachen­bekämp­fung erneut zwis­chen ein­er Ver­schär­fung des Jugend­strafrechts und ein­er Erhöhung der Polizeipräsenz — und bei der Ursachen­forschung zwis­chen dem Kon­sum medi­aler Gewal­texzesse und der all­ge­meinen Per­spek­tivlosigkeit. Ger­ade let­ztere freilich ist eine absolute Chimäre. Es möge doch bitte ein­er der Schwätzer, die dieses Grati­s­ar­gu­ment per­ma­nent ins Feld führen, ein­mal eine deutsche Jugend benen­nen, die über eine bessere Per­spek­tive ver­fügt hat! Es mag ja sein, daß die junge Gen­er­a­tion unmit­tel­bar nach der gewon­nen Schlacht im Teu­to­burg­er Wald, dem Einzug von Kaiser Wil­helm in Ver­sailles oder dem Über­fall auf Polen die Zukun­ft rosarot gese­hen hat — aber dieser Per­spek­tivrausch ist doch jew­eils recht bald wieder verflogen.

Die heutige Jugend dage­gen sieht sehr wohl eine Per­spek­tive, auch wenn diese jeden Freigeist mit abgrundtiefem Grausen erfüllt: Bei der bun­desweit­en „U‑18-Wahl“ ist in Sach­sen-Anhalt die CDU zur stärk­sten Frak­tion gewor­den. Die CDU! Das muß einen freilich nicht wun­dern, wenn man bedenkt, daß unsere Jugend repräsen­ta­tiv­en Umfra­gen zufolge feste Bindun­gen, sex­uelle Treue und Absicherung als „sehr wichtig“ empfind­et. Diese Gen­er­a­tion würde Abitur- und Hochzeits­feier am lieb­sten gle­ich zusam­men­le­gen und hat ihr Jugendwei­he- oder Kon­fir­ma­tion­s­geld wahrschein­lich längst in die Altersvor­sorge investiert. Diese Gen­er­a­tion protestiert nicht mehr, son­dern unter­wirft sich wil­len­los dem Kon­sumter­ror. Diese Gen­er­a­tion find­et Sicher­heit wesentlich wichtiger als Frei­heit. Diese Gen­er­a­tion ver­schleud­ert ihr Taschen­geld nicht für käu­fliche Liebe, Musik und Dro­gen, son­dern für lächer­liche Marken­klam­ot­ten und Klin­geltöne. Sex, Drugs & Rock’n’Roll liefern großar­tige Räusche, aus denen man freilich immer wieder erwacht — aus einem kläglichen Klin­gel­ton­rausch erwacht nie­mand mehr.

Ich habe Angst vor dieser Jugend. Sie ste­ht nun ein­mal für die Per­spek­tive unser­er Gesellschaft — und wenn ich mir vorstelle, daß in diesen sinn­los sim­senden Hän­den irgend­wann die Geschicke unseres Lan­des liegen wer­den, dann will ich, wenn es so weit ist, entwed­er im Grab oder in ein­er unter Pal­men aufges­pan­nten Hänge­mat­te liegen. Und dann will ich mit ein­er üppi­gen Rente aus­ges­tat­tet sein und darum bin ich mit den Son­ntagsre­den unser­er Poli­tik­er abso­lut nicht ein­ver­standen: ich bin näm­lich sehr wohl dafür, auf dem Rück­en dieser Gen­er­a­tion weit­ere Schulden zu machen. Es kön­nen gar nicht genug sein. Bezahlen wir ihnen die Sicher­heit, nach der sie sich so sehr sehnen, und brin­gen uns vor allem sel­ber in Sicher­heit. Sollen sie ächzen und stöh­nen unter der Last dieses Schulden­berges — das ist eine gerechte Strafe dafür, schon mit 17 CDU gewählt zu haben.

14 Kommentare zu „Mit 17 keine Träume mehr“

  1. jule wäscht sich nie

    ja der Herr Precht hat das gestern beim kul­tur­magazin auch so ähn­lich for­muliert. Alle gelang­weilt, keinen Grund mehr zum Wider­stand oder Zustände zu ändern, denn uns gehts doch gut. Es müssen erst katas­trophale Zustände aus­brechen bevor sich irgend­je­mand bewegt. Und davon sind wir ja meilen­weit ent­fer­nt. Poli­tik­er kön­nen doch heute, wenn mans genau nimmt auch irgend­wie gar nix mehr bewe­gen. Sie tun ein­fach so als kön­nten sie es aber ins­ge­heim wis­sen wir alle dass es wed­er Volksparteien noch Oppo­si­tion mehr gibt und dass eben jed­er schaut wo er sel­ber bleibt.

  2. naja ich finde den artikel etwas sehr pop­ulis­tisch … es gibt nicht ‚die‘ jugend … es ist genau­so wieder ein teil der so denkt und wenn  wir anfan­gen so zu denken, dann muss unsere gen­er­a­tion sich ihr poli­tikver­drossen­heit von den alten vor­w­er­fen lassen, kein­er will aktive poli­tik machen, kein­er will sich einspan­nen, ver­biegen lassen, wir bekom­men viel zu spät kinder etc etc … mehr dif­feren­zierung taete dem artikel mein­er mei­n­ung nach gut … (nichts destotrotz ist cdu fürn arsch 🙂 )

  3. @ alle: Ich find Polemik und Pop­ulis­mus toll, aber nur solange, wie sie in mein Konzept passen. 😆 Natür­lich ist der Text polemisch, aber das macht ja irgend­wie auch den Reiz aus.

  4. Ich musste wirk­lich sehr über den Artikel schmun­zeln… und ich find‘ Polemik auch toll! :mrgreen: Wollte allerd­ings eben­so anmerken: Meine Gen­er­a­tion war da fast noch schlim­mer als die jet­zige Jugend — wir haben Bev­er­ly Hills 90210 geguckt, sind jedes Jahr nach Mal­lor­ca geflo­gen, haben Euro-Dance gehört und Boy­groups ange­him­melt. Ganz ehrlich — sin­nvoll war das alles nicht… und trotz­dem sind irgend­wie irgend­wann noch Men­schen aus uns gewor­den, die über den Teller­rand hin­aus guck­en (also aus mir jeden­falls). Ich wäre da also etwas opti­mistis­ch­er — auch die jet­zige Jugend wird sich in ein paar Jahren dafür schä­men, dass ihnen Klin­geltöne und Marken­klam­ot­ten (diesen Trend gab’s bei uns übri­gens auch schon!) wichtiger waren als poli­tis­che Ver­ant­wor­tung zu übernehmen. Und davon abge­se­hen wür­den doch die meis­ten 17–20jährigen eh die Partei wählen, die ihre Eltern wählen. Kein Wun­der also, dass die CDU da so gut abschneidet…

  5. Da muß ich wider­sprechen, Vero. Die heutige Jugend wird sich nicht für Klin­geltöne, Play­boy-Klam­ot­ten und ihre Doofheit schä­men. Ganz im Gegen­teil: Die Dummheit wird sich irgend­wann etabliert haben und eine intellek­tuelle Gegenkul­tur nur noch in ein­er Par­al­lel­welt existieren. Die Spaßge­sellschaft hat doch schon gewon­nen; und wenn die Verehrer und Vertreter der­sel­ben irgend­wann die Geschicke dieses Lan­des übernehmen, möchte ich bitte in oben erwäh­n­ter Hänge­mat­te liegen.

    Hat­test Du im Alter von 17 bis 20 Jahren den drin­gen­den Wun­sch, es Deinen Eltern nachzu­tun? Dann muß in Dein­er Jugend etwas „falsch“ gelaufen sein. 😉 Jugend ist Oppo­si­tion, lei­der opponiert sie heute oft in die „falsche“ Rich­tung. Jugend ist Abgren­zung, Sinnsuche, Rebel­lion und Ver­wirrung. Genau deshalb ist der Wahlsieg der CDU bei den unter 18-Jähri­gen eigentlich unfaßbar.

    Oppa regt sich jet­zt wieder ab… 😉

  6. Also meine Eltern wählten SPD und grün, und ich würde mal stark behaupten, dass ich mich davon bei mein­er ersten Wahl bee­in­flussen ließ. Was poli­tis­che The­men bet­rifft, habe ich mich sehr wohl sehr stark von meinen Eltern bee­in­flussen lassen, als ich 17 und 18 war. Jet­zt sieht das ein biss­chen anders aus… 😉
    Was „Jugend ist Oppo­si­tion“ bet­rifft — klar, ich habe auch „opponiert“. Glaub­st du, meine Mama fand es lustig, dass ich diese Bumm­bumm­bumm-Musik gehört habe? Trotz­dem höre ich die heute nur noch aus Nos­tal­giegrün­den und bevorzuge im All­ge­meinen weniger sin­n­freie Musik! :mrgreen: Und ich trage auch keine Marken-Klam­ot­ten mehr, nur weil da ganz groß der Name drauf ste­ht. Wenn über­haupt, dann muss mir das Teil schon sehr gut stehen… 🙂
    Ich glaube, bei mir hat die „Sinnsuche“ erst zwis­chen Abi und Studi­um ange­fan­gen. Es gibt also noch Hoff­nung für unsere Kids und unsere Zukun­ft! Glaub mir — das mit den Gen­er­a­tio­nen ist doch ein ewiger Kreis­lauf. Es kommt auch wieder eine kri­tis­chere, da bin ich mir ganz, ganz sicher! 😆

    PS: Bzw. wird die jet­zt unkri­tis­che bes­timmt auch noch etwas kritischer…

  7. *räusper*.…wenn ich auch noch meinen kleinen, sozi­ol­o­gis­chen Fin­gerzeig auf­führen darf.
    Da wer­den der Jugend doch zwei Dinge unter­stellt: der Hang zur Spaßge­sellschaft und Sin­n­frei­heit- und die Suche nach Sicherheit.
    Ich würde mal behaupten: die Jugend kann für bei­des nix!
    „Die Jugend“ sofern es sie denn als homo­gene Masse gibt, sucht sich immer noch Vor­bilder. Die Vor­bilder die geliefert wer­den sind in der homo­ge­nen Vor­bild­masse meis­tens solche Leute wie Dieter Bohlen oder Paris Hilton- also wun­dert Euch nicht. Und ich würde Vero insofern zus­tim­men, dass die Phase, in der man als Jugendlich­er in der Lage ist, sich ein Stück weit vom homo­ge­nen Mob abzuset­zen, wahrschein­lich erst mit 17–18 begin­nt. Es sei denn, man hat sich schon im Vor­feld dem Protest verschrieben.
    Da wären wir bei The­ma 2. Meine Jugend­gen­er­a­tion hat­te noch so einen Rest von Spies­sigkeit in der Eltern Gen­er­a­tion, gegen den es sich dur­chaus zu prostestieren lohnte. Die heutige Gen­er­a­tion hat Eltern, die entwed­er vor­leben, dass man den Tag dur­chaus auch mit dem Kon­sum von Verkauf­ssendun­gen totschla­gen kann, oder Eltern, die in wilder Ehe, Patch­work­fam­i­lien und Allein­erziehend leben. Eltern, die nicht 50 Jahre im sel­ben Betrieb arbeit­en wer­den, son­dern die vielle­icht mal ganz froh wären, wenn sie über 2 Jahre die gle­iche Stelle hal­ten wür­den. Die heutige Gen­er­a­tion wächst mit soviel möglichen Lebensen­twür­fen und Stilen, und soviel Entschei­dungs­frei­heit auf, dass es mich über­haupt nicht wun­dert, dass sie gern ein bißchen Sicher­heit hät­ten. Ich stelle dabei dur­chaus in Frage, ob CDU wählen, dazu ein geeignetes Mit­tel ist. Aber seid get­rost und beruhigt. Jede Gen­er­a­tion pro­duziert eine Gegen­be­we­gung. Spätestens 2030 wer­den die Kids wieder hüb­sch anar­chisch sein 😉

  8. @ Vero & Gno­mo: Danke für eure lan­gen Beiträge die mich irgend­wie ein bißchen rat­los zurück­lassen. Außer der Hoff­nung auf 2030 (dann mit mir als Spießer) bleibt mir noch die Hoff­nung auf einen gnaden­losen Irrtum mein­er­seits. Bis dahin geh ich aber weit­er meine Vorurteile pflegen… 😉

  9. „die“.….SIE.….stecken sie etwa alle unter ein­er Decke.…völlig neue Erken­nt­nisse ( vielle­icht lebt Elvis ja doch noch, und steuert mit Michael Jack­son den kul­turellen Niedergang.….hmmmm.…)

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