Ein Nachmittag im Tempel der Glückseligen

Sehr geehrte Bankdi­rek­torin­nen, liebe Forstwirte, erzürnte Barpi­anis­ten, sehr geehrte Leserin­nen und Leser,

mein Name ist Gun­nar Roß und ich habe eine Scheibe. Sie liegt bei mir im Keller, ich habe sie mir am 26. Mai 1980 von meinem Klassenkam­er­ad Fred Ber­tels­mann abgeschnit­ten. Meine Groß­mut­ter sagte näm­lich in erwäh­n­tem Mai 1980, daß Fred Ber­tels­mann eine unfaßbare Aus­ge­burt an Fre­undlichkeit wäre, und ich mir von ihm mal eine Scheibe abschnei­den könne. Ich tat wie mir geheißen. Seit jen­em lufti­gen Früh­som­mertag gam­melt die Scheibe Ber­tels­mann in meinem Keller vor sich hin. Eigentlich tat die Scheibe gar nicht not, da ich nach abso­lut objek­tiv­er Betra­ch­tung von Geburt an ein mustergültiges Exem­plar der Spezies Humanus Net­ti­cus bin. Meistens.

Oft helfe ich alten und gebrech­lichen Müt­ter­lein über die Bun­desstraße, verteile zu Pfin­g­sten Rosen in der Innen­stadt und trenne meinen Müll. Manch­mal jedoch kann ich auch anders. Dann bin ich z. B. schlecht­ge­launt, schimpfe wie ein Rohrspatz oder schieße mit Schnellfeuer­waf­fen. Das ist aber eher die Aus­nahme, da ich mir der strafrechtlichen Rel­e­vanz meines Tuns recht schnell bewußt werde und Ärg­er mit der Exeku­tive um fast jeden Preis ver­mei­den möchte.

So auch am gestri­gen Dien­stag. Ich war ger­ade auf dem Weg in die Innen­stadt, um bei Schleck­er ein wenig Katzen­streu für meinen sibirischen Schakal zu kaufen. Um welche Innen­stadt es sich han­delt, spielt dabei keine Rolle. Zum einen möchte ich Nach­stel­lun­gen Stalk­ing-inter­essiert­er Zufallsvor­beileser unbe­d­ingt ver­mei­den, zum anderen sieht jede Innen­stadt mit­tler­weile ohne­hin abso­lut iden­tisch aus. Wo der Men­sch zur Indi­vid­u­al­isierung bis zum Erbrechen neigt, neigt die Innen­stadt zur bedin­gungslosen Gle­ichausse­herei. Hier ein Ross­mann, da ein H&M. Gegenüber McDoof, Deich­mann und McFit.

Damit der inter­essierte Gel­daus­ge­ber nicht allzuweit laufen muß, tendiert man neuerd­ings dazu, sämtliche Einzel­han­dels­fachgeschäfte in einem einzi­gen Glas‑, Chrom- und Protzbau unterzubrin­gen. Das nen­nt sich dann meist irgend­was mit -Cen­ter oder -Galerie und sieht eben­falls immer iden­tisch aus: Im Erdgeschoß gibt es Oasen der Erhol­ung, wo man aus­ruhen aber nicht rauchen darf sowie eine Fil­iale von NanuNana, einen Nord­see-Fis­chim­biß, den New York­er und ein Klein­geld-Klo.  Nach oben führen fast immer Roll­trep­pen, und oben angekom­men kann man den Blick durch vol­lver­glaste Gelän­der gle­ich wieder nach unten schweifen lassen. In der oberen Etage ver­birgt sich meist auch ein Café oder eine Mok­ka-Milch-Eis­bar. Die ist meist in der Mitte, dort wo zwangsläu­fig die meis­ten Pas­san­ten vor­beikom­men, so daß man während des Eis­genuss­es ordentlich star­ren, beobacht­en und glotzen kann.

Was kaum jemand weiß, mir aber aus ver­lässlich­er Quelle zuge­tra­gen wurde: Diese Einkauf­stem­pel sind autarke Feu­dal­staat­en inner­halb des Ter­ri­to­ri­ums der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land. Es gibt einen eige­nen Sicher­heits­di­enst, eine Not­fall-Ambu­lanz, Fernse­hen und Lebens­mit­tel im Über­fluß. Gel­dau­to­mat­en sind vorhan­den, Schuh­fachgeschäfte und Droge­rien machen das Glück per­fekt. Wahrschein­lich gibt es auch einen eige­nen König, aber da bin ich nicht hun­dert­prozentig sicher.

Jede Nacht tauschen SIE die Luft in den Einkauf­s­molochen (Ist das der kor­rek­te Plur­al von Moloch?) kom­plett aus. Riesige, in den Fußbö­den ver­steck­te Ven­ti­la­toren blasen die ver­brauchte Luft in Rich­tung Glaskup­pel, wo sie von gigan­tis­chen inter­galak­tis­chen Staub­saugern abge­saugt wird.  Die ver­brauchte Luft wird nach Afri­ka exportiert, dort ist man mit unserem abgelegten Krem­pel ja noch ganz glück­lich. Im Gegen­zug wird neue Luft einge­füllt. Diese ist mit Kau­foli­nox­id und LSD angere­ichert. Das erk­lärt den Kopf­schmerz am Tag nach dem Kaufrausch und sel­bi­gen an sich. Vom Kau­foli­nox­id angetörnt, schal­tet der Ver­stand auf Eco­modus und die Fin­ger greifen wie von selb­st in das Port­mo Portn Port die Geld­börse um den hartver­di­en­ten Zaster wie von Sin­nen von sich zu schleudern.

Es soll Men­schen geben, die schaf­fen es tat­säch­lich mehrere Stun­den in diesen Höllen der Frev­el­haftigkeit zuzubrin­gen. Mir jeden­falls wurde das ganze Ram­ba-Zam­ba dort rasch zuviel. Eigentlich hat­te ich es geah­nt, ich bin ein­fach nicht für diese Art von Ver­lustierun­gen geschaf­fen. Ich bin ein Lan­dei, ein Börde­bube, ein ein­fach­es Geschöpf von Gottes Ack­er der Gerecht­en. Außer­dem wartete Edgar (mein Schakal) ja bere­its zuhause mit sein­er Not­durft auf mich und benötigte dazu drin­gend die zu beschaf­fende Katzenstreu.

Ich betrat also schlußendlich den Schleck­er-Markt um zur Tat zu schre­it­en. Die gnaden­los unter­bezahlte Drogeriemark­t­fachangestellte gab sich redlich Mühe mich fre­undlichst zu bedi­enen, aber der halb­stündi­ge Aufen­thalt in Schöneneuewelt und meine Kau­foli­nox­id-Allergie hat­ten mein empfind­sames Gemüt bere­its zum Kochen gebracht. Nur noch stam­mel­nd und wirr hörte ich zusam­men­hangslose Worte wie phonetis­che Bauk­lötze aus meinem Mund fall­en: Edgar, Katze! Katze Tatze! Streu wie Heu! Sibirien! Gulag! Tun­dra, Taiga, Hopp­sasa! Bal­alai­ka! Ihr kotzt mich alle an! Kaufen, Kaufen, Kaufen! Schakal bru­tal total Kanal! 

Die Verkäuferin rief — am Tag danach rufe ich: Völ­lig zu Recht! — den Sicher­heits­di­enst und der warf mich aus dem Gebäude. Die frische Luft tat mir gut.

Ich habe gel­ernt: Die wohler­zo­gen­ste Fre­undlichkeit und selb­st die beste Scheibe Ber­tels­mann nützt nichts, wenn man auf Deibel-komm-raus seinen eige­nen und zusät­zlich den äußeren neg­a­tiv­en Vibra­tions erliegt. Entschuldige, Oma, ich habe alles ver­sucht. Ehrlich.

Bis zur näch­sten Nachricht! Pro Min­dest­lohn jet­zt! Angela abwählen!
Kein Fußbre­it den Vollidioten!

Ihr Kämpfer für die gute Sache
Gun­nar Roß


9 Kommentare zu „Ein Nachmittag im Tempel der Glückseligen“

  1. Wert­er Herr Roß,
    zunächst ein­mal meine Glück­wun­sch für diesen stilis­tisch sehr gelun­genen Artikel- auch wenn ich mein Köpfchen immer ein wenig anstren­gen muss, um ihren Gedanken­sprün­gen zu fol­gen, ohne dabei den roten Faden zu ver­lieren. Ein bißchen Anstren­gung soll jedoch nicht verkehrt sein, somit Respekt Respekt.
    Ins­beson­dere die Ein­leitung mit der Gam­melscheibe Ber­tels­mann, sowie das Sujet über inter­gal­lak­tis­che Staub­sauger, mit denen SIE die verseuchte Luft umleit­en, haben mich hochgr­a­dig amüsiert.
    Ich möchte nun Ihren Aus­führun­gen noch einen kleinen Gedanken anfü­gen. Ich per­sön­lich glaube ja, dass es nicht nur die LSD und Kau­foli­nox­id bere­icherte Luft ist, die den Kon­sumenten heutzu­tage seine Forderun­gen in einem aggres­siv­en Unter­ton her­vor­brin­gen lässt. Nein, abge­se­hen von der beständi­gen Reizüber­flu­tung in eben solchen Cen­tren und Gale­rien, kommt mein­er Mei­n­ung nach dem auf Fre­undlichkeit getrimmten Ver­hal­ten der dort angestell­ten Mitar­beit­er eben­falls eine beson­dere Rolle zu.
    Man ver­ste­he mich nicht falsch, ich habe nichts gegen fre­undliche Men­schen, aber im Kon­sumgeschäft scheint mir Fre­undlichkeit mit­tler­weile als ein Beziehungser­satzprä­parat ange­priesen. Und wie schön, wenn man sich darauf ver­lassen kann, dass die Kassiererin bei H&M im Mün­ster­land min­destens genau­so hip und nett ist, wie das Gegen­stück im Börde­land. Ist es nicht gut zu wis­sen, dass wir über­all auf der Welt willkom­men sind, solang wir nur bere­it sind unseren Geld­beu­tel zu zück­en ?? Ja, ja, die Welt ste­ht uns offen, das freie, tolle Kon­sumza­uber­land, und kein­er stört uns, denn alle, die über keinen Geld­beu­tel- oder ein etwas markan­teres Ver­hal­ten, wie in ihrem Fall- ver­fü­gen, die schickt man direkt raus. Wahrschein­lich wer­den sie auch über inter­galak­tis­che Staub­sauger in Entwick­lungslän­der exportiert, wer weiß ??
    Also: Auf nach Afri­ka- da wo sowohl die Luft als auch die Men­schen noch richtig muf­fig sein können !!
    Mit Hochachtung,
    Fräulein Gnomorella

  2. > Das nen­nt sich dann meist irgend­was mit –Cen­ter oder –Gale­rie…
    Du hast die „Arkaden“ vergessen! 😉
    Aber an dieser Stelle wirk­lich mal großes Kom­pli­ment für diesen (eigentlich trau­ri­gen, aber den­noch äußerst amüsan­ten) Bericht! Genau DAS wollte ich auch schon seit Ewigkeit­en in meinem Blog the­ma­tisieren, weil es mich echt fer­tig macht, aber nun biste mir zuvorgekom­men, und stilis­tisch ist das echt nicht mehr zu top­pen! Danke für dieses her­rliche Stück Zeitkritik! 🙂

  3. jule wäscht sich nie

    Ich hab auch die Huldigung für dieses exor­bi­tante Wirrwar­rmeis­ter­w­erk vergessen..aber da ich dich ja nur so reden höre bei unseren kon­spir­a­tiv­en Gesprächen ist das so nor­mal und völ­lig nachvol­lziehbar für mich…oder hat die Infil­trierung durch SIE schon begonnen? Hilfe.…

  4. Sehr geehrte Leserin­nen und Leser,

    ich bedanke mich auf das abson­der­lich­ste für das aus­ge­sproch­ene Lob, den Präsen­tko­rb und die schö­nen Blu­men. Es freut mich ganz außeror­dentlich, daß ich — was Einkauf­s­gele­gen­heit­en und ‑örtlichkeit­en ange­ht — zu Ihrer Aufk­lärung beitra­gen kon­nte. Meine Freude ist ganz beson­ders groß, da ich bere­its glaubte, beson­ders die Leserinnen mit meinem Beitrag über Kurzhaar­frisuren ein wenig ver­schreckt zu haben.

    Sehr geehrte Frau Gno­morel­la, was die Fre­undlichkeit als Mit­tel zum Zweck bzw. Attitüde zum Umsatzer­folg ange­ht; daran habe ich auch schon gedacht. Gele­gentlich macht mir eine Verkäuferin schöne Augen, beson­ders wenn ich mein T‑Shirt mit dem Auf­druck „Noch zu haben aber leicht merk­würdig“ trage. Vielle­icht aber liegt das gar nicht an mir, son­dern tat­säch­lich an den ver­ab­scheuungswürdi­gen Umsatzsteigerungs­be­mühun­gen der Frau hin­ter der Theke. Darüber muß ich nach­denken, danke für die Inspiration.

    Verehrte Frau Vero, auch Ihnen meine wirrsten Dankesgrüße!

    Eben­so natür­lich an Her­rn Schatten!

    Her­rn Jens Hen­schel möchte ich zurufen: Sitz!!! 😉

    Sehr geehrte Frau Jule, auch Ihnen gebürt mein Dank! Sie als mein Boll­w­erk im äußer­sten West­en sind über die neuesten Trends in Sachen Einkaufen & Co. ja immer schon einige Tage, Wochen oder Monate vorher informiert. Somit ist ihre Funk­tion als Infor­man­tin für mich unent­behrlich und hochgeschätzt!

    Ich grüße außer­dem alle, die mich ken­nen und ganz beson­ders Petra Kusch-Lück vom Mit­teldeutschen Rundfunk!

    Mit fre­undlichen Grüßen,
    Ihr Gun­nar Roß

  5. jule wäscht sich nie

    Ja die Trends..die bringe ich dir auch nur damit wir sie gemein­sam mit einem auf­blas­baren Gum­mi­ham­mer zerkloppen..den trägt man jet­zt auch ger­ade im West­en als dezen­ten aber sehr klei­d­samen Haarschmuck..sowohl Män­ner als auch Frauen. Nur damit sie den Trend auch in der Börde starten kön­nen. Long live the Gum­mi­ham­mer. Der ist auch wahnsin­nig prak­tisch da man eventuellen Schwach­mat­en, Pro­leten, Nazis und Grab­sch­ern aus der Hüfte in nul­lkom­manix eins auf die leere Rübe geben kann.
    P:S: Lieber Gun­nar, ich habe aus aktuellem Anlass meine Haare jet­zt noch kürz­er als eh schon. Sie sehen uns Frauen kann nix schreck­en. Denn so frech wie die beschriebe­nen damen werd ich nie aussehen.

  6. Cha­peau! Fein­er Beitrag mit sehr viel Wahrheit. Da bleibt keine Frage offen, man liest ges­pan­nt mit hochgestell­ten Nack­en­haaren und hat unweiger­lich diese ätzende Kauf­paradies­beschall­musik in den Ohren.
    PS:  Ob Molochs oder Molochen, die Angestell­ten jeden­falls mal­ochen für wenig Geld…

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