Fröhliche Schreinachten!

Wir ler­nen fürs Leben. Und für einen Aus­bil­dungsplatz beim VEB Kohle­han­del. Wir gewin­nen Erken­nt­nisse, naschen Tan­nen­zapfen vom Baum der Erken­nt­nis und tanzen — wenn  wir uns genug Mut angetrunk­en haben — einen Reigen. Eine fik­tive Geschichte.

Der kleine Kevin-Patrick ren­nt wie von Sin­nen um den Wei­h­nachts­baum, die Haare wirr vom Kopf abste­hend, in den Augen der Glanz dieser wahnsin­ni­gen Wei­h­nacht. Kom­plett über­wältigt und schw­er mitgenom­men von den Ein­drück­en, der Fülle an Geschenken und der ganzen Wei­h­nachts-Aufre­gung tanzen seine Synapsen den wilden Sam­ba der min­der­jähri­gen Glück­seligkeit. Seine Run­den wer­den nur vom Aufreißen (und wenn ich REISSEN sage, dann meine ich auch REISSEN) der Geschenke unter­brochen. Im hohen Bogen fliegen Geschenkpa­pi­er, Ver­pack­ungskar­ton­a­gen und Sek­t­gläs­er durch die Luft. Schreie des Entzück­ens zer­schnei­den die viel zu dicke Luft im Raum. Da, was buntes! Da, was zum Spie­len!! Da, Scho-koooo-laaaa-de!!! Die jun­gen und glück­lichen Eltern ste­hen mit ihrem Kind in einem wahnsin­ni­gen Wettstre­it der Freude. Wer brüllt lauter? Wer ist entzück­ter, ob der ganzen Geschenke? Abwech­sel­nd äußern Papa, Mama und Kind ihre helle Freude in eben­so hellen Schreien. Als ich mir nicht mehr sich­er bin, ob das der Sound­track zu einem Tee­nie-Splat­ter-Hor­ror­film oder immer noch Wei­h­nacht­en ist, naht Erlö­sung in Form des Eier­weck­ers. Essen ist fer­tig. Gott! sei!! Dank!!!

Da wurde dem Her­rn im Him­mel wohl zu früh gedankt, denn Kevin-Patrick, der kleine Satans­brat­en, hat bere­its den Rotkohl fest im Blick bzw. vielmehr fest in der Hand. Mit geziel­ten Wür­fen gehen Wand, Tisch und Groß­vater im Rotkohl-Hagel unter. Let­zter bewaffnet sich todesmutig mit Kartof­fen (weichgekocht). Ab 18.00 Uhr wird zurück­geschossen! Es ent­bren­nt eine wilde Essen-Schlacht, Kevin-Patricks Mut­ter ohrfeigt seinen Vater mit ein paar Schnitzeln, wegen der Fremdge­herei im let­zten Jahr. „Du Schwein, Du Schwein, ich hau Dir eine rein!“ so reimt sie weinend und schlägt munter weit­er auf ihn ein. Die Soße tropft Papa von den Wan­gen, und mit ihr auch sein let­zter Rest an Würde. Müh­sam sucht er hin­ter der vollgestopften Schrankwand Deck­ung, als ihn die inzwis­chen leere Kartof­felschüs­sel am Kopf trifft. Er taumelt, geht zu Boden und robbt bis unter den Tisch. Hier sucht er Deck­ung, Deck­ung vor sein­er Ange­traut­en, Deck­ung vor den Widrigkeit­en des Lebens und sog­ar Deck­ung vor dem eige­nen Ich. Auf dem Tisch ste­ht inzwis­chen unser Schnuck­elchen Kevin-Patrick, die rotkohlige Faust fest und entschlossen geballt. Er schwankt bedrohlich, offen­bar hat ihn sein­er klein­er Angriff­skrieg doch etwas mitgenom­men — und fällt der Länge nach auf den Tisch. Vom Knall aufgeschreckt krabbelt Papa unter dem Tisch vor, fällt Mama um den Hals und brüllt in ein­er Stimm­lage irgend­wo zwis­chen hys­ter­isch und entrückt den alten Satz von Stasi-Arsch Erich Mielke „Ich liebe doch! Ich liebe doch alle Men­schen, Genossen! Genossen, ICH LIEBE DOCH!!!“

Vor­sichtig tra­gen Mama und Papa, in liebevoller Zunei­gung vere­int, ihr Opfer der Umstände ins Bett. „Endlich schläft der Kleine, er war ja schon den ganzen Tag so aufgedreht!“.

Während­dessen ste­ht Tante Elvi­ra, ein kinder­los­es Mit­glied der bun­des­deutschen Sol­i­darge­mein­schaft abseits am Wei­h­nachts­baum. Sie hat die ganze Szener­ie des Grauens mitlei­d­voll mitange­se­hen. Ihr Blick gleit­et in die Leere der Nacht hin­aus. Eigentlich mag ich ja Kinder, so denkt sie, wenn nur die Eltern nicht wären…

3 Kommentare zu „Fröhliche Schreinachten!“

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