Heute mal ein kleiner TV-Tipp vom Behördenteam: „Die Kinder von Golzow“ ist eine filmische Langzeitdokumentation über die Schüler einer Schulklasse aus dem brandenburgischen Golzow im Oderbruch. Von 1961 bis 2007 dokumentieren Barbara und Winfried Junge 18 Menschen auf ihrem Lebensweg. Dabei entstanden mehr als 45 Stunden Filmmaterial. Doch keine Angst: Es handelt sich nicht um „Big Brother“ für Intellektuelle, sondern um ein filmhistorisch bedeutendes und anspruchsvolles Werk.
Ein Großteil der Faszination der Reihe entsteht vor allem aus der Fülle des Materials und der Bandbreite der Charaktere. Von „Darstellern“ zu reden verbietet sich, auch wenn insbesondere in den älteren Folgen eine gewisse Scheu der Protagonisten deutlich spürbar wird. Anfang der 60er waren wir eben noch weit von der heutigen Mediengesellschaft entfernt, da war ein Kamerateam im Dorf eine Sensation. So, als würde heute ein UFO im Behördenhof landen.
Interessant sind vor allem all die unausgesprochenen Sätze zwischen den Zeilen, die man wohl nur als gelernter DDR-Bürger besonders gut hört. Faszinierend zu sehen, wie sich Leben, Charaktere und auch das Äußere von Menschen über Jahre und Jahrzehnte verändern. Die Filme beleuchten nicht nur die individuellen Lebensgeschichten der „Kinder von Golzow“ sondern geben auch einen tiefen Einblick in die Geschichte der DDR und der Wende. Ganz nebenbei wird natürlich auch der Lokalkolorit der DDR hervorragend wiedergegeben: Ich hab mich selbst dabei ertappt als ich „Da, ein ZT-300!“* rief. Auch Straßenschilder, Tischdecken und Sprelacart-Schränke lassen alte Erinnerungen aufleben.
Besonders interessant sind natürlich die Jahre von 1988 bis in die 90iger hinein, weil man dort ganz genau den Bruch in den Köpfen und den Bruch in den Herzen nachvollziehen kann.
Nach dem Ende der DDR und damit auch der DEFA führte Junge das Golzow-Projekt in Co-Produktion mit Sendern der ARD, vor allem dem RBB, weiter; der Progress Film-Verleih wertet „Die Kinder von Golzow“ im Kino und auf Festivals aus.
Mit den beiden Teilen „Und wenn sie nicht gestorben sind…“ und „…dann leben sie noch heute“ endete die längste Dokumentation der Filmgeschichte. (Unter teilweiser Verwendung des Artikels auf wikipedia.de)
Hier noch einige Links zum Thema:
Homepage der „Kinder von Golzow“
Amazon.de hält ein reichhaltiges Arsenal an DVDs, DVD-Boxen und Büchern zur Reihe bereit. Es lohnt sich definitiv.
Eine sehr gelungene Kritik zum Abschlußfilm der Reihe gibt es beim ZDF-Kulturmagazin „aspekte“.
Aktuelle Sendetermine auf prisma-online.de.
Für Kurzentschlossene: Heute, 23.05 Uhr, rbb: „Und wenn sie nicht gestorben sind…“.
Buh RBB..ick will zurück! verdammte axt
ich finde es auch so interessant wie viele typisch ddr bürgerische aussagen man da findet..dieses duckmäuserische und sich selbst zurücknehmende. der einzelne ist nur teil des ganzen..
Hm, blöd das Du den Sender nicht empfangen kannst. Halt einfach die Augen offen, diverse Teile der Dokumentation laufen oft auch im mdr. Es lohnt sich in jedem Fall, wobei mir persönlich die „späteren“ Folgen am besten gefallen. Das liegt aber sich an meinem Alter und meiner Sicht auf die DDR.
In der Tat, das Duckmäusertum wirkt ja bis heute nach und erklärt, so denke ich, einiges. Vor allem erklärt es, warum soviele Menschen bis heute nicht mit einer Demokratie klarkommen… 🙁
leider läuft bei uns weder mdr noch rbb, ich habe aber teile der großartigen doku vor 10–15 jahren schon mal gesehen, das war auch ohne ddr-insider wissen absolut fesselnd. … schade nur, dass es jetzt „zuende“ ist. denke mal, das ist weltweit einzigartig.
zt-300? öh… ein moped?.…fernseher? .…staubsauger?
ZT300=Landmaschine vom Typ Traktor, 1967 in Serie gegangen.
Damit kam mein Opa immer in der Mittagspause vom Feld, die Flasche Doppelkorn im Stiefelschaft.…
Hallo Leute,
es gibt inzwischen alle Filme auf DVD. Ihr könnt aber auch ins Golzower Filmmuseum ausfliegen, es Euch dort in alten Kinosesseln bequem machen und je nach Ausdauer und vorhandener Zeit einen oder mehrere Teile auf Euch wirken lassen.
Gruß aus Golzow
Mone
@kacknorris: Es freut mich, daß die Dokumentation nicht nur Ex-DDR-Bürger zu begeistern weiß. Das überrascht mich ehrlich gesagt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, daß insbesondere die häufige Einsilbigkeit und „Selbstzurücknahme“ der Protagonisten für einen Westdeutschen nachvollziehbar ist. Mit dem ZT 300 lagst Du leider daneben.
@Bruce: Herzlichen Glückwunsch und einen angenehmen Rausch! Per Post oder beim nächsten Mal in natura?
@Mone: Vielen Dank für den Hinweis. Wenn ich mal in der Gegend bin, werde ich definitiv vorbeischauen. Hier nochmal der Link zum Filmmuseum in Golzow für alle.
natürlich hat(te) die dokumentation des ddr-lebens eine gewisse exotik. das war aber nur ein aspekt der faszination. einsilbigkeit und selbstzurücknahme machen eine gewisse authentizität aus. das eigentlich faszinierende war die dokumentation des alltags und die dokumentation der langsamen veränderung/entwicklung. da fand ich (o.k, ich kann mich kaum noch erinnern, heute hätte ich vllt eine andere herangehensweise) den unterschied zwischen ost und west gar nicht so groß. in bezug auf elementare probleme/situationen — die sind/waren oft gleich.
gibts auf dvd!!???? JAAAAAAAAAAAAAAA! irre..
Schön gesagt Herr Norris, stimme Dir in Deinem vorletzten Kommentar vollinhaltlich zu. Und ja, die DVDs sind sehr zu empfehlen.